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Todesreigen

Titel: Todesreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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berichteten, dass sie zu den besten Sportlerinnen zählte, mit denen sie je gearbeitet hatten; sie rauchte nicht, trank niemals Alkohol und jammerte nicht, wenn Ron ihr sagte: kein Führerschein vor dem achtzehnten Geburtstag. Sie verstand, wie sehr er sie liebte und warum er sie nicht mit ihren Freundinnen nach Manhattan fahren oder das Wochenende ohne erwachsene Begleitperson auf Fire Island verbringen ließ.
    Deshalb fand er es absolut unfair, dass Harle Ebbers ausgerechnet seine Tochter ausgewählt hatte, um ihr nachzustellen.
    Es hatte im letzten Herbst begonnen. Eines Abends war Gwen während des Essens ungewöhnlich still gewesen. Als Ron sie nachher gebeten hatte, aus seiner Bibliothek ein Buch zu holen, aus dem er laut vorlesen wollte, hatte Gwen einfach am Küchenfenster gestanden und hinausgestarrt.
    »Gwen, hörst du mir zu? Ich habe dich gebeten, mir ein Buch zu holen.«
    Als sie sich umgedreht hatte, bemerkte er schockiert, dass sie geweint hatte.
    »Schatz, es tut mir Leid«, sagte Ron automatisch und trat auf sie zu, um den Arm um sie zu legen. Er wusste, wo das Problem lag. Vor einigen Tagen hatte sie ihn gebeten, einen Ausflug nach Washington, D.C., machen zu dürfen, zusammen mit zwei Lehrern und sechs Mädchen und Jungen aus ihrer Soziologieklasse. Ron hatte erwogen, sie teilnehmen zu lassen. Aber dann hatte er die Gruppe überprüft und herausgefunden, dass zwei der Mädchen Probleme mit der Disziplin hatten – man hatte sie im letzten Sommer in einem Park nahe der Schule beim Trinken erwischt. Er hatte Gwen also erklärt, dass sie nicht mitfahren dürfe, woraufhin sie enttäuscht gewesen war. Also hatte er vermutet, dass darin der Grund für ihre Tränen lag. »Ich wünschte, ich könnte dich mitfahren lassen, Gwen…«, hatte er gesagt.
    »Oh nein, Daddy, es ist nicht der dumme Ausflug. Der ist mir egal. Es geht um etwas anderes…«
    Sie war ihm schluchzend in die Arme gefallen, und elterliche Liebe hatte ihn überwältigt. Und unerträgliche Qualen angesichts ihres Schmerzes. »Was ist los, Schatz? Sag es mir. Du kannst mir alles sagen.«
    Sie hatte aus dem Fenster geschaut.
    Als er ihrem Blick gefolgt war, hatte er im Park auf der anderen Straßenseite eine Gestalt bemerkt, die neben einem Busch kauerte.
    »Oh Daddy, er verfolgt mich.«
    Entsetzt hatte Ron sie ins Wohnzimmer geführt und gerufen: »Doris, wir halten eine Familienbesprechung ab! Komm her! Sofort!« Dann hatte er seiner Frau mit einer Geste bedeutet, ins Zimmer zu kommen, und sich neben Gwen gesetzt. »Was ist los, Baby? Sag es uns.«
    Ron war es am liebsten, wenn Doris Gwen von der Schule abholte. Aber gelegentlich, wenn seine Frau viel zu tun hatte, ließ er Gwen auch zu Fuß nach Hause gehen. In Locust Grove gab es keine üblen Gegenden, und ganz bestimmt nicht an dem adretten und gepflegten Weg zur High School. Die größten Gefahren waren in der Regel ästhetischer Natur: ein billiger Bungalow oder ein Schwarm Plastikflamingos, Herden von Gipsbambis.
    Jedenfalls hatte Ron das geglaubt.
    An jenem Herbstabend hatte Gwen, die Hände im Schoß gefaltet, auf der Couch gesessen, zu Boden gestarrt und mit unsicherer Stimme erklärt: »Ich war heute zu Fuß auf dem Rückweg von der Schule, okay? Und da kam dieser Kerl.«
    Ron war kalt ums Herz geworden, seine Hände zitterten, und Wut baute sich in ihm auf.
    »Sag es uns«, hatte Doris das Mädchen ermuntert. »Was ist passiert?«
    »Nichts ist passiert. Nicht so was. Er hat einfach angefangen, mit mir zu reden. ›Du bist so hübsch. Ich wette, du bist klug. Wo wohnst du?‹«
    »Wusste er, wer du bist?«
    »Ich glaube nicht. Er hat sich so komisch benommen. Als wäre er irgendwie zurückgeblieben, versteht ihr? Er hat Sachen gesagt, die keinen Sinn ergaben. Ich sagte, dass ihr nicht wollt, dass ich mit Fremden rede, und dann bin ich nach Hause gelaufen.«
    »Oh, du armes Ding.« Ihre Mutter umarmte sie.
    »Ich dachte nicht, dass er mir gefolgt wäre. Aber…« Sie biss auf ihre Lippe. »Aber das ist er.«
    Ron war hinaus zu dem Busch gelaufen, wo er den jungen Mann gesehen hatte. Er hockte in einer merkwürdigen Haltung, die Ron an einen der grünen Plastiksoldaten erinnerte, die er als Kind gekauft hatte. Der kniende Soldat, der sein Gewehr anlegte.
    Der Junge sah Ron kommen und flüchtete.
    Im Büro des Sheriffs war der Junge bekannt. Harles Eltern waren vor einigen Monaten nach Locust Grove gezogen. Man hatte sie buchstäblich aus Ridgeford, Connecticut, vertrieben, weil

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