Todesreigen
einen Einzigen von ihnen mitnehmen würden. Sie würden sterben, unter Schmerzen sterben, und das alles wegen ein paar lausiger Dollar. Aber, aber, aber…« Er hob die Arme und hielt mich davon ab, etwas zu sagen. »Sie müssen eines begreifen: Vertrauen bedeutet Risiko.«
»Das ist Blödsinn.«
»Ich denke, genau das Gegenteil ist richtig. Es wäre das Klügste, was Sie jemals in Ihrem Leben getan haben.«
Ich kippte noch einen Scotch hinunter und dachte darüber nach.
Weller sagte: »Ich sehe es schon vor mir. Ein Stückchen von diesem Vertrauen. Es ist da. Nicht viel, aber ein bisschen.«
Und tatsächlich gab es dieses bisschen vielleicht, da ich mich daran erinnerte, wie wütend ich auf Toth gewesen war, weil er alles kaputtgemacht hatte. Ich wollte nicht, dass heute Abend jemand sterben würde. Ich hatte die Schnauze voll davon. Davon, wie mein Leben gelaufen war. Manchmal war es ja gut, allein zu sein und alles. Niemandem antworten zu müssen. Aber manchmal war es auch richtig schlimm. Und es sah so aus, als würde dieser Weller mir eine Alternative aufzeigen.
»Also«, sagte ich, »Sie wollen, dass ich den Revolver weglege?«
Er blickte sich um. »Legen Sie ihn in die Küche. Sie stehen an der Tür oder am Fenster. Alles, was ich tun werde, ist, bis zur Straße zu gehen und wieder zurückzukommen.«
Ich blickte aus dem Fenster. Es waren vielleicht fünfzehn Meter bis zum Ende der Auffahrt. Auf beiden Seiten standen Büsche. Er konnte einfach abhauen, und ich würde ihn niemals finden.
Überall am Himmel sah ich den Widerschein der flackernden Lichter von Polizeiwagen.
»Nee, das mach ich nicht. Sie sind verrückt.«
Ich erwartete, dass er mich anflehen würde oder so was. Oder eher, dass er sauer werden würde – was
mir
nämlich passiert, wenn die Leute nicht tun, was ich ihnen sage. Oder es nicht schnell genug tun. Aber nein, er nickte bloß.
»Okay, Jack. Sie haben darüber nachgedacht. Das ist schon mal etwas. Aber Sie sind noch nicht so weit. Ich respektiere das.« Er nippte an seinem Scotch und schaute in sein Glas. Damit war die Sache erledigt.
Plötzlich leuchteten Suchscheinwerfer auf. Sie waren ein gutes Stück entfernt. Trotzdem erschreckten sie mich, und ich trat vom Fenster zurück. Zog meine Waffe. Dann erst wurde mir klar, dass sie nichts mit dem Überfall zu tun hatten. Es waren einfach zwei riesige Scheinwerfer, die den Wächter anstrahlten. Wahrscheinlich wurden sie jeden Abend um diese Zeit eingeschaltet.
Ich schaute zum Wächter hinauf. Von hier aus wirkte er überhaupt nicht wie ein Gesicht. Es war bloß ein Felsen. Grau und braun, und an den Seiten wuchsen aus Rissen merkwürdige Kiefern heraus.
Ich beobachtete ihn eine oder zwei Minuten lang. Dann blickte ich über die Stadt hinweg. Und irgendwas, das dieser Kerl gesagt hatte, setzte sich in meinem Kopf fest. Nicht die genauen Worte. Nur der
Gedanke
. Ich dachte an all die Bewohner dieser Stadt, die ganz normale Leben führten. Ich sah einen Kirchturm und die Dächer kleiner Häuser. Es gab viele kleine gelbe Lichter in dieser Stadt. Weiter entfernt konnte man gerade noch die Hügel erkennen. Einen Moment lang wünschte ich mir, in einem dieser Häuser zu sein. Dort zu sitzen. Mit einer Ehefrau zusammen fernzusehen.
Ich wandte mich vom Fenster ab und sagte: »Sie würden einfach zur Straße gehen und wieder umkehren? Das ist alles?«
»Das ist alles. Ich werde nicht fliehen, Sie werden nicht zu Ihrem Revolver greifen. Wir vertrauen einander. Was könnte einfacher sein als das?«
Ich horchte auf den Wind. Er war nicht stark, mehr ein konstantes Zischen, das mich eigenartigerweise beruhigte, obwohl ich es zu jedem anderen Zeitpunkt als kalt und rau empfunden hätte. Es war, als hörte ich eine Stimme. Ich weiß nicht. Etwas in mir drängte mich, diese Sache zu tun.
Ich sagte kein einziges Wort, weil ich genau auf der Kippe stand und Angst hatte, er würde eine Bemerkung machen, die mich dazu bringen könnte, es mir anders zu überlegen. Ich nahm einfach die Smith & Wesson, betrachtete sie eine Weile, ging dann in die Küche und legte sie dort auf den Tisch. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und schnitt mit dem Buck die Fesseln an seinen Beinen durch. Dann entschloss ich mich, die Sache, wenn ich mich schon darauf einließ, auch konsequent durchzuziehen. Also befreite ich auch seine Hände. Weller wirkte überrascht, als ich das tat. Aber er lächelte, als hätte er verstanden, dass ich das Spiel mitspielte. Ich zog ihn
Weitere Kostenlose Bücher