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Todesreigen

Titel: Todesreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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hoch, hielt ihm das Messer an den Hals und brachte ihn zur Tür.
    »Sie tun etwas Gutes«, erklärte er.
    Ich dachte: Oh, Mann, ich glaub es einfach nicht. Es ist verrückt. Ein Teil von mir sagte: Stech ihn ab, schneid ihm sofort die Kehle durch. Los!
    Aber das tat ich nicht. Ich öffnete die Tür, roch die kühle Herbstluft, den Rauch von verbranntem Holz und die Kiefern, und ich hörte den Wind zwischen den Felsen und in den Bäumen über unseren Köpfen.
    »Na los!«, sagte ich.
    Weller setzte sich in Bewegung, ohne sich umzudrehen und zu kontrollieren, ob ich den Revolver holte… Vertrauen, nehme ich an. Er ging einfach ganz langsam zur Straße hinunter.
    Ich fühlte mich eigenartig, das kann ich Ihnen sagen, und einige Male, wenn er an richtig dunklen Stellen neben der Auffahrt vorbeiging, an denen er hätte verschwinden können, dachte ich: Oh, Mann, jetzt hab ich’s versaut. Ich bin verrückt.
    Ein paar Mal wäre ich fast in Panik zur Smitty gestürzt, doch ich ließ es bleiben. Als Weller sich dem Bürgersteig näherte, hielt ich buchstäblich den Atem an. Ich erwartete, dass er abhauen würde, wirklich. Ich versuchte, den Moment zu erkennen – diesen Moment, wenn jemand sich anspannt, ehe er sich plötzlich umdreht, zum Angriff übergeht oder flüchtet. Der Körper schreit in solchen Momenten heraus, was man tun wird, noch bevor man wirklich etwas tut. Allerdings tat Weller nichts von all dem. Er ging ziemlich lässig zum Bürgersteig hinunter. Dort drehte er sich um und schaute zum Gesicht des Wächters hinauf, als wäre er ein ganz normaler Wochenendurlauber.
    Dann drehte er sich um und nickte mir zu.
    Und genau in diesem Moment fuhr der Streifenwagen vorbei.
    Er gehörte zur Staatspolizei, das sind die dunklen, und hatte die Blinklichter nicht eingeschaltet, so dass er praktisch ohne Vorwarnung auftauchte. Wahrscheinlich hatte ich Weller so angestrengt beobachtet, dass ich auf nichts anderes geachtet hatte.
    Da war er also, zwei Häuser entfernt, und Weller bemerkte ihn im gleichen Augenblick wie ich.
    Und ich dachte: Das war’s. Verdammt.
    Doch als ich mich gerade umdrehen wollte, um den Revolver zu holen, registrierte ich diese Bewegung an der Straße. Und ich erstarrte.
    Können Sie das glauben? Weller hatte sich zu Boden fallen lassen und rollte unter einen Baum. Ich schloss in Windeseile die Tür und beobachtete alles durchs Fenster. Der Streifenwagen hielt an und richtete seinen Suchscheinwerfer auf die Auffahrt. Der Lichtstrahl war furchtbar hell. Er bewegte sich hin und her, berührte jeden einzelnen Busch und die Front des Hauses, ehe er sich wieder auf die Straße richtete. Es schien mir, als hätte Weller sich geradezu unter den Kiefernnadeln eingegraben, um nicht gesehen zu werden. Ich meine, er
versteckte
sich vor diesen Drecksäcken. Er gab sein Bestes, um nicht in den Lichtkegel zu geraten.
    Dann setzte sich der Wagen wieder in Bewegung, und ich konnte zusehen, wie der Scheinwerfer das Nachbarhaus absuchte, ehe er schließlich verschwand. Die ganze Zeit über behielt ich Weller im Auge, aber er machte nicht die geringste Dummheit. Ich beobachtete, wie er unter dem Baum hervorkroch und seine Kleider abklopfte. Dann kam er wieder zum Haus herauf. Ganz gemütlich, als wäre er auf dem Weg zu einer Kneipe, um seine Kumpels zu treffen.
    Er trat ein. Und seufzte leise, als wäre er erleichtert. Dann lachte er und streckte die Hände vor. Ich hatte ihn noch nicht einmal darum gebeten. Ich fesselte sie wieder mit dem Klebeband. Er ließ sich auf seinem Stuhl nieder, nahm sein Glas und trank einen Schluck.
    Verdammt, eines sage ich Ihnen. Und bei Gott, es ist die Wahrheit. Ich fühlte mich gut. Oh nein, es war nicht so, als hätte ich eine Erleuchtung gehabt oder irgend so einen Unsinn. Aber mir wurde klar, dass ich keinem Menschen in meinem Leben – meinem Dad, meiner Ex, Toth oder irgendwem sonst – jemals wirklich vertraut hatte. Ich hatte mich niemals komplett fallen lassen. Aber hier, heute Abend, hatte ich es getan. Bei einem Fremden, der noch dazu die Macht gehabt hätte, mich wirklich in Schwierigkeiten zu bringen. Das fühlte sich einerseits ziemlich beängstigend an, andererseits aber auch gut.
    Eine kleine Sache, wirklich klein. Aber vielleicht sind das tatsächlich die Dinge, mit denen es anfängt. Jetzt wurde mir klar, dass ich mich geirrt hatte. Ich konnte ihn laufen lassen. Oh, ich würde ihn einfach gefesselt hier lassen. Geknebelt. Es würde vielleicht einen Tag dauern, ehe

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