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Todesreigen

Titel: Todesreigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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anderen Seite des Hudson River. Der ganze Staat schien noch zu schlafen. Und wahrscheinlich tat er das auch.
    »Bitte, Daddy. Bleib bei uns zu Hause.«
    »Wir haben gestern den ganzen Tag gespielt«, betonte er, als könne er sie auf diese Weise überzeugen, dass sie heute ohne ihn zurechtkommen würde.
    Natürlich war ihm bewusst, dass die Logik eines Kindes mit der eines Erwachsenen nicht die geringste Ähnlichkeit besaß. Trotzdem fuhr er fort: »Wir waren bei FAO Schwarz und im Rockefeller Center, und ich hab dir zwei – rechne nach! – zwei Hotdogs bei Henri’s
à côté du
Subway gekauft. Und dann waren wir bei Rumplemeyer.«
    »Aber das war
gestern

    Kindliche Logik, stellte Alex fest, war mit Abstand die überzeugendste.
    »Und was hast du bei Rumpelstilzchen gegessen?«
    Wo die Logik versagte, war er sich für ein Ablenkungsmanöver nicht zu schade.
    Die Achtjährige zupfte an ihrem Nachthemd. »Banana Split.«
    »Ehrlich?« Er setzte eine schockierte Miene auf. »Das gibt’s nicht!«
    »Oh, doch, und das weißt du! Du warst nämlich dabei.«
    »Wie groß war es?«
    »Das weißt du doch!«
    »Ich weiß gar nichts. Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte er mit schwerfälligem deutschen Akzent.
    »Soooo groß.« Sie streckte ihre Arme weit auseinander.
    Alex entgegnete: »Unmöglich. Du wärst geplatzt wie ein Ballon. Peng!« Er begann, sie zu kitzeln, und sie kicherte.
    »Und jetzt auf mit dir!«, verkündete er. »Gemeinsames Frühstück, bevor ich losfahre.«
    »Daddy«, beharrte sie. Doch Alex floh aus ihrem Zimmer.
    Er suchte seine Angelausrüstung zusammen, stellte alles neben die Haustür und ging in die Küche, küsste Sues Nacken und legte seine Arme um sie, während sie die Pfannkuchen wendete.
    Alex füllte drei Gläser mit Orangensaft und sagte: »Sie will nicht, dass ich heute fahre. Dabei hat sie sich noch nie beklagt.« Während des letzten Jahres hatte er jeden Monat einen Tag oder zwei freigenommen, um außerhalb von New York City zum Angeln zu gehen.
    Seine Frau stapelte die Pfannkuchen auf einen Teller, stellte sie zum Warmhalten in das Backrohr und warf einen Blick den Flur hinunter, wo ihre Tochter in ihren violetten Barney-Pantoffeln verschlafen ins Bad trottete. Dann schloss sie die Tür.
    »Jessie hat neulich abends ferngesehen«, sagte Sue. »Ich hab noch etwas Hausarbeit erledigt und nicht aufgepasst. Und plötzlich kam sie weinend aus dem Zimmer. Ich hatte die Sendung nicht gesehen, aber in der Programmzeitschrift stand, dass es ein Fernsehfilm war, in dem ein Vater entführt und gefangen gehalten wird. Ich fürchte, es gab ein paar recht deutliche Szenen. Ich hab mit ihr darüber geredet, aber sie war ziemlich durcheinander.«
    Alex nickte langsam. Er war mit Horrorfilmen und Ballerwestern aufgewachsen; ja, er hatte die sonntäglichen Matinees als einen Zufluchtsort vor seinem aggressiven, launischen Vater genossen. Als Erwachsener hatte er keinen Gedanken an Gewaltdarstellungen in Film oder Fernsehen verschwendet – bis er selbst Vater geworden war. Von Anfang an hatte er immer aufgepasst, was Jessica zu sehen bekam. Dabei störte ihn nicht, dass sie wusste, dass es Tod und Aggression gab; es waren die überflüssigen, explizit grausamen Szenen, mit denen die populären Sendungen gespickt waren, die er ihr ersparen wollte.
    »Sie hat Angst, dass ich beim Angeln entführt werde?«
    »Sie ist acht, und die Welt da draußen ist böse.«
    Es war schwierig mit Kindern, dachte er. Ihnen beizubringen, dass sie Fremden gegenüber vorsichtig sein mussten, ihnen reale Gefahren bewusst zu machen, ohne ihnen gleichzeitig so viel Angst vor dem Leben einzujagen, dass sie nicht mehr damit zurechtkamen. Den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion zu begreifen, das konnte schon für Erwachsene schwierig sein, um wie viel mehr dann für Kinder.
    Fünf Minuten später saß die ganze Familie am Küchentisch. Alex und Sue blätterten durch die Sonntags-
Times
und lasen Passagen aus Artikeln, die interessant klangen. Jessica, die von ihrem ausgestopften Bären Raoul begleitet wurde, aß methodisch zuerst ihren Speck, dann die Pfannkuchen und schließlich eine Schüssel Cornflakes.
    Das Mädchen tat so, als würde sie Raoul mit einem Löffel Cornflakes füttern. Dann fragte sie nachdenklich: »Warum angelst du gern, Daddy?«
    »Es ist entspannend.«
    »Oh.« Die Cornflakes hatten die Form von irgendwelchen Zeichentrickfiguren. Ninja Turtles, glaubte Alex.
    »Dein Vater braucht ein

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