Todesreigen
bisschen Freizeit. Du weißt doch, wie hart er arbeitet.«
Als Kreativdirektor einer Werbeagentur an der Madison Avenue arbeitete Alex regelmäßig sechzig bis siebzig Stunden pro Woche.
»Dein Vater ist ein Machertyp durch und durch«, fuhr Sue fort.
»Ich dachte, du hättest eine Sekretärin, Daddy. Macht die denn nichts für dich?«
Ihre Eltern lachten.
»Nein, Schatz«, sagte Sue. »Damit ist ein Mensch gemeint, der richtig hart arbeitet. Alles, was er tut, muss ihn näher an sein Ziel bringen, sonst interessiert es ihn nicht.« Sie strich über Alex’ muskulösen Rücken. »Deswegen sind seine Werbekampagnen so gut.«
»Der Cola-Koala!« Jessicas Miene erhellte sich.
Als Überraschung für das Mädchen hatte Alex einige der Originalentwürfe einer Zeichentrickfigur mitgebracht, die er sich ausgedacht hatte, um ein Produkt zu bewerben, von dem der Hersteller hoffte, es würde sich eine beträchtliche Scheibe der Marktanteile von Pepsi und Coca-Cola abschneiden können. Die Bilder der knuddeligen Kreatur hingen jetzt an ihrer Wand gleich neben den Porträts von Cyclop und Jean Gray aus den X-Men-Comics. Außerdem hatten Spider-Man und natürlich die Power-Rangers dort ihren Platz.
»Das Angeln hilft mir beim Entspannen«, wiederholte Alex und schaute vom Sportteil der Zeitung auf.
»Oh.«
Sue packte ihm sein Mittagessen ein und füllte Kaffee in eine Thermoskanne.
»Daddy?« Die Miene des Mädchens wirkte wieder düsterer. Sie starrte auf ihren Löffel und ließ ihn in der Schüssel versinken.
»Was ist, Jessie-Bessie?«
»Warst du schon mal bei einer Schlägerei dabei?«
»Einer Schlägerei? Du meine Güte, nein.« Er lachte. »Na ja, in der High School schon. Aber seitdem nicht mehr.«
»Hast du den Kerl verprügelt?«
»In der High School? Grün und blau hab ich ihn gehauen. Patrick Briscoe. Er hat mir das Essensgeld geklaut. Dem hab ich’s gegeben. Linke Gerade und rechter Haken. Technischer K.o. in drei Runden.«
Sie nickte und verschluckte ein Rudel – oder einen Schwarm – Ninja Turtles und legte ihren Löffel wieder hin. »Könntest du jetzt immer noch jemanden verprügeln?«
»Ich glaube nicht an Schlägereien. Erwachsene müssen sich nicht prügeln. Sie können ihre Meinungsverschiedenheiten mit Worten klären.«
»Aber wenn dich jemand angreift, ein Räuber, zum Beispiel? Könntest du ihn außer Gefecht setzen?«
»Schau dir mal diese Muskeln an. Ist das Schwarzenegger, oder was?« Er zog die Ärmel seines karierten Abercrombie-Jagdhemdes hoch und beugte den Arm. Beeindruckt zog das Mädchen die Augenbrauen hoch.
Genau wie Sue.
Alex zahlte fast zweitausend Dollar im Jahr für die Mitgliedschaft in einem Fitnessclub im Stadtzentrum.
»Schatz…« Alex beugte sich vor und legte seine Hand auf den Arm des Mädchens. »Du weißt doch, dass die Sachen, die im Fernsehen gezeigt werden, wie dieser Film, den du gesehen hast, alle nur erfunden sind. Du darfst nicht denken, dass das wirkliche Leben genauso ist. Im Grunde sind die Menschen gut.«
»Ich möchte ja bloß, dass du heute nicht weggehst.«
»Warum heute?«
Sie schaute hinaus. »Die Sonne scheint nicht.«
»Ah, das ist aber das beste Wetter zum Angeln. Die Fische können mich nicht kommen sehen. Hey, mein Kürbis, ich sag dir was… Wie wäre es, wenn ich dir etwas mitbringe?«
Ihr Gesicht hellte sich auf. »Wirklich?«
»Ja. Was hättest du gern?«
»Ich weiß nicht. Warte, doch, ich weiß was. Etwas für unsere Sammlung. Wie letztes Mal.«
»Gut, meine Süße. So machen wir’s.«
Im letzten Jahr hatte Alex eine Beratungsstelle aufgesucht. Er stand kurz vor dem Zusammenbruch. Es war ihm schwer gefallen, seine Rollen als überarbeiteter Angestellter, Ehemann einer Jurastudentin, Vater und ausgenutzter Sohn unter einen Hut zu bringen. (Sein eigener Vater, oft betrunken und permanent streitlustig, war in eine teure psychiatrische Klinik gesteckt worden, die Alex sich kaum leisten konnte.) Der Therapeut hatte ihm geraten, etwas ausschließlich für sich selbst zu tun – ein Hobby oder Sport. Zuerst hatte er die Idee als sinnlose Frivolität abgetan. Der Doktor aber hatte ihn eindringlich gewarnt, dass die unablässige besorgte Anspannung, die ihn umtrieb, ihn innerhalb weniger Jahre in den Tod treiben würde, falls er nichts unternahm, um sich etwas Entspannung zu verschaffen.
Nach gründlichem Überlegen hatte Alex mit dem Süßwasserangeln (das ihn aus der Stadt hinaus führte) und mit dem Sammeln (das er zu Hause
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