Todesreigen
hin und her und erklärte mit feierlicher Stimme: »Es schien mir sehr bedauerlich, dass Murtaugh den Grund für seinen Tod nicht erfahren hat. Wisst Ihr, in meinen Stücken muss die Wahrheit am Ende herauskommen – sie muss ans Tageslicht. Wenn schon nicht für die Charaktere des Stücks, dann doch wenigstens fürs Publikum. Dass Murtaugh in Unkenntnis unserer Rache gestorben ist, hat meinen Stift in Bewegung versetzt.«
Daraufhin las der Dichter ihnen langsam sein Sonett vor:
To a Villain
When I do see a falcon in the wild
I think of he, the man who gave me life,
Who loved without restraint his youthful child
And bestow’d affection on his wife.
When I do see a vulture in its flight
I can think of naught but thee, who stole
Our family’s joy away that evil night
Thou cut my father’s body from his soul.
The golden scissors of a clever Fate
Decide how long a man on earth shall dwell.
But as my father’s son I could not wait
To see thy wicked soul entombed in hell.
This justice I have wrought is no less fine,
Being known but in God’s heart and in mine.
An einen Schurken
Wenn ich einen Falken in der Wildnis sehe,
denk ich an ihn, den Mann, der mir das Leben gab.
Der sein jugendliches Kind uneingeschränkt liebte
und seiner Frau Zuneigung schenkte.
Wenn ich den Geier in seinem Fluge sehe,
kann ich an nichts denken als an dich, der stahl
das Glück unserer Familie in jener bösen Nacht.
Du schnittest meines Vaters Körper von seiner Seele ab.
Die goldene Schere eines klugen Schicksals
entscheidet, wie lange ein Mann auf Erden verweilt.
Doch als meines Vaters Sohn konnte ich es nicht abwarten,
deine verlorene Seele in der Hölle begraben zu sehen.
Diese Gerechtigkeit, die ich herbeigeführt habe,
wird nicht wertloser dadurch,
dass nur Gottes und mein Herz von ihr wissen.
»Gut gemacht, Will«, rief Hal Pepper.
Charles schlug dem Stückeschreiber anerkennend auf den Rücken.
»Ist es über Charles?«, fragte Stout und starrte auf das Stück Papier. Seine Lippen bewegten sich langsam im Versuch, die Worte zu formen.
»Im Geiste, ja«, sagte Shakespeare und drehte das Gedicht herum, so dass der große Mann die Zeilen besser lesen konnte. Leise fügte er hinzu: »Aber, wie mir scheint, nicht klar genug, als dass das Strafgericht es beweiskräftig finden könnte.«
»Dennoch halte ich es für das Beste, wenn Ihr es noch nicht veröffentlicht«, erklärte Charles vorsichtig.
Shakespeare lachte. »Nein, mein Freund, in nächster Zeit nicht. Für solche Verse würde sich heute sowieso kein Publikum finden. Liebe, Liebe, Liebe… das ist die einzige Art der Poesie, die sich heutzutage verkauft. Was mich, nebenbei gesagt, sehr zornig macht. Nein, ich werde es sicher verstecken und erst in einigen Jahren wieder hervorholen, wenn die Welt Robert Murtaugh vergessen hat. Nun, bald werden die Lampen entzündet, nicht wahr?«
»Sehr bald«, erwiderte Stout.
»Alsdann… Nun, da unser Drama aus dem wirklichen Leben an seinen letzten Vorhang gelangt ist, wollen wir uns einem erfundenen widmen. Mein Stück
Hamlet
wird heute Abend aufgeführt, und ich muss dabei anwesend sein. Holt Eure reizende Frau, Charles, und lasst uns zur Fähre und dann ins Globe gehen. Trinkt aus, meine Herren, wir wollen aufbrechen!«
Die sonntägliche Angeltour
»Geh nicht, Daddy.«
»Raus aus den Federn, junge Dame!«
»Bitte!«
»Und wovor hat meine kleine Jessie-Bessie Angst?«
»Ich weiß nicht. Vor gar nichts.«
Alex saß auf ihrer Bettkante und umarmte das Mädchen. Er spürte die Wärme ihres Körpers, der vom einzigartigen Geruch eines erwachenden Kindes umhüllt war.
In der Küche klapperte eine Pfanne, dann eine zweite. Wasser lief. Die Kühlschranktür wurde zugeschlagen. Die Geräusche eines Sonntagmorgens. Es war früh, halb sieben.
Sie rieb sich die Augen. »Ich hab gedacht… wir könnten heute zusammen zu den Pinguinen im Zoo gehen. Du hast doch gesagt, wir würden bald hingehen. Und wenn du zum See musst, ich meine, wenn du wirklich
musst
, könnten wir doch stattdessen zum Central Park fahren und rudern. Wie damals, weißt du noch?«
Alex schüttelte sich in gespieltem Entsetzen. »Was glaubst du denn, welche Fische ich
da
fangen kann? Eklige Fische mit drei Augen und Schuppen, die im Dunkeln leuchten.«
»Du musst doch nicht angeln. Wir können einfach herumrudern und die Enten füttern.«
Er blickte aus dem Fenster hinaus auf den dämmrigen, grauen Horizont von New Jersey auf der
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