Todesreigen
Designer-Sportkleidung. Dann schlug er das Rohr mit voller Wucht auf den Kopf des Fisches und tötete ihn. Er warf ihn in einen Eimer und griff nach seiner Rute und der Spule.
»Wie läuft’s?«, fragte Alex.
Der Mann nickte.
»Haben Sie Glück gehabt?«
»Etwas.« Der Mann musterte abermals Alex’ Kleidung, ging zum Ufer und machte sich bereit, die Angel auszuwerfen.
»Ich hab noch gar nichts gefangen.«
Eine Weile sagte der Mann kein Wort. Sein Wurf ließ den Köder weit hinaus in den See schnellen. »Was benutzen Sie denn?«, fragte er schließlich.
»Oberflächenköder. An einem Zwölf-Zoll-Vorfach. Fünfzehn-Pfund-Schnur.«
»Ah.« Als würde das erklären, warum er nichts fing. Mehr sagte er nicht. Alex spürte seine Anspannung flattern wie die Flügel der Krähen. Angler zählten normalerweise zu den freundlichsten Sportlern und waren gern bereit, ihr Wissen über Köder und gute Plätze zu teilen. Es war ja nicht so, als ob sie sich um den einzigen Fisch im ganzen gottverdammten See stritten, dachte er.
Er fragte sich, was so schwierig daran war, höflich zu sein. Wenn die Leute sich so verhielten, wie sie es sollten und wie er Jessie gegenüber behauptet hatte, dass sie sich verhielten, dann wäre die Welt anders – kein Hass, kein Zorn, keine verängstigten kleinen Mädchen. Keine Jungen, die Angst vor ihren Vätern hatten, keine Jungen, die zu ängstlichen Männern heranwuchsen.
»Wie spät ist es?«, fragte Alex.
Der Mann schaute auf die Kombination aus Kompass und Uhr, die an seinem Gürtel hing. »Halb eins. Ungefähr.«
Alex deutete mit dem Kopf auf eine Picknickbank, die in der Nähe stand. »Was dagegen, wenn ich hier mein Mittagessen einnehme?«
»Wie Sie wollen.«
Alex setzte sich hin, öffnete die Tasche und nahm sein Sandwich und einen Apfel heraus. Seine Hand berührte noch etwas anderes – ein Stück Zeichenpapier, das zwei Mal gefaltet war. Als er es öffnete, durchströmte ihn eine Welle der Rührung. Jessica hatte ihm mit den Buntstiften, die er ihr letzten Monat zum Geburtstag geschenkt hatte, ein Bild gemalt. Es stellte ihn selbst – einen glatt rasierten Mann mit eckigem Kiefer und dichtem schwarzen Haar – dar, wie er gerade einen zehn Mal so großen Hai an Land zog. Der Fisch trug einen verängstigten Gesichtsausdruck. Unter das Bild hatte sie geschrieben:
Vorsicht, Fische… mein Daddy ist unterwegs!!!
Jessica Bessie Mollan
Einmal mehr dachte er liebevoll an seine Familie, und sein Ärger verpuffte. Langsam aß er sein Sandwich mit Fleischkäse. Dann öffnete er die Thermoskanne. Ihm war bewusst, dass der andere Angler in seine Richtung schaute. »Hey, Mister, möchten Sie Kaffee? Meine Frau hat etwas Besonderes gemacht. Es ist eine französische Röstung.«
»Kann ich nicht trinken. Mein Bauch.« Er lächelte nicht und schaute in eine andere Richtung. Bedankte sich nicht einmal. Der Mann sammelte seine Ausrüstung zusammen und ging zu einem Baumstumpf, der ungefähr einen Meter über dem Boden glatt abgesägt war wie ein Tisch und auf dessen Oberfläche Flecken von altem Blut zu erkennen waren. Er stellte den Eimer ab und holte einen Fisch heraus. Mit einem langen, scharfen Messer köpfte er ihn schnell, schlitzte dann den glatten Bauch auf und riss die Innereien mit seinen Fingern heraus. Er warf den Kopf und die Eingeweide zu einer in drei Metern Entfernung wartenden Schar von Krähen hinüber, die sogleich lautstark um das feuchte, klebrige Gekröse zu kämpfen begannen. Dann warf der Mann das gesäuberte tote Tier zurück in den blutigen Eimer.
Alex blickte sich um und sah, dass sie völlig allein waren. Die einzigen Geräusche waren das leise Plätschern des Wassers und die Schreie der wütenden Krähen. Er wollte in sein Sandwich beißen, doch beim Anblick der Vögel, die die schlüpfrigen Innereien auseinander rissen, verging ihm der Appetit, und er schob das Essen beiseite.
In diesem Moment bemerkte er ein Stück Papier auf dem Boden. Offensichtlich war es von einem Anschlagbrett des Picknickbereichs fortgeweht oder vom Regen heruntergespült worden. Er war neugierig und ging hin, um es aufzuheben. Trotz der Wasserflecke auf dem Papier konnte er die Worte noch entziffern. Es handelte sich nicht um eine Bekanntmachung der Fischereibehörde, wie er vermutet hatte, sondern um eine des Bezirkssheriffs.
Er spürte ein kurzes Unwohlsein beim Lesen dieser einfachen Mitteilung. Das Flugblatt versprach eine Belohnung von fünfzigtausend Dollar für
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