Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
verbracht hatten, die gemeinsamen Mahlzeiten, die so wichtig waren, sie zusammen zu genießen, und die wenigen Gespräche, dafür aber verstärkt Auseinandersetzungen, die sie miteinander führten, wurden von ihnen beiden gleichermaßen als wesentlich und elementar in ihrem Leben eingestuft. Keiner von ihnen konnte oder wollte mehr darauf verzichten, auch wenn der Weg zu einer Einheit noch in weitester Ferne lag, auch wenn sie nicht immer derselben Meinung waren, Diskussionen des Öfteren in eine Kontroverse ausarten konnten und die Umrisse einer Vater-Sohn-Beziehung oftmals verwischt wurden.
Die Tür zu Julians Zimmer war nur angelehnt. Simon blieb kurz davor stehen, bevor er eintrat, und wusste instinktiv, dass sein Sohn nicht in diesem Zimmer, nicht in seinem Bett schlief, wie er es normalerweise um diese Zeit erwarten würde. Er hatte es schon geahnt, als er die Haustür geöffnet hatte, denn diesmal begrüßten ihn keine abgetragenen Sneakers, die achtlos irgendwo in der Diele in die Ecke gefeuert worden waren. Ein eigenartiges Gefühl des Verlustes überkam ihn und er spürte einen Kloß im Hals und sein Magen verkrampfte sich.
Es war spät geworden. Die Bürgerversammlung hatte sich ellenlang hingezogen und zu seinem Bedauern keinerlei neue Erkenntnisse gebracht. Er hatte es gar nicht erst versucht, mit Phillip Richter zu sprechen, denn er war der Meinung, dass es weder der geeignete Ort noch die passende Zeit war, über schwerwiegende Verbrechen zu reden.
Überrascht hatte er beobachtet, wie Hubert Stein das Bürgerzentrum frühzeitig verließ, und in Erwägung gezogen, ihm unbemerkt zu folgen. Hätte er es doch besser gemacht, dann wäre ihm eine laute, aber zähe und langweilige Diskussion über das Waldsterben in Deutschland erspart geblieben.
Nach dem Tod von Christoph Stein fehlte der Bewegung das Alpha-Tierchen. Sie hatten ihren Häuptling verloren, dem sie vertrauten und der sie antrieb. Eine Frau Klein oder ein Karl Pütz waren kaum in der Lage, diesen Verlust zu ersetzen. Phillip Richter hatte den ganzen Abend auf charmante Weise versucht, diesen Vorteil zu nutzen und die Menschen auf seine Seite zu ziehen. Er verfügte über eine enorme Redegewandtheit und hatte, trotz der hässlichen Anfeindungen, eine Ruhe behalten, die Simon insgeheim bewunderte. Phillip Richter verkörperte eigentlich alles, was ein Politiker mitbringen sollte. Er war gebildet, trug gepflegte Kleidung, war verheiratet und hatte Familie und dennoch hatten die Menschen einem Mann, der das genaue Gegenteil von Phillip Richter darstellte, mehr Vertrauen entgegengebracht.
Christoph Stein war ein Rebell, der lebte, wie es ihm passte. Er war ein Kämpfer, der in Afghanistan gedient hatte, aber was ihn in den Augen seiner Vorgesetzten besonders auszeichnete, war sein Teamgeist.
War es das gewesen, was die Menschen an ihm bewundert hatten? , fragte sich Simon. Und musste er deshalb sterben? Simon schaute auf sein Handy. 0.30 Uhr und kein Anruf. Er wählte Julians Nummer und wartete auf das Klingeln, doch die Mailbox sprang sofort an.
Verdammt , dachte er, wenigstens Bescheid sagen könnte er doch.
Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, konnte er dies von seinem Sohn kaum erwarten, nachdem, was er ihm angetan hatte. Müdigkeit und Erschöpfung überfiel ihn. Der Fall nagte an ihm wie die Maus am Käse. Er musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, wer für diese zwei schrecklichen Morde verantwortlich war. Wer hatte ein Motiv?
Um sich abzulenken, nahm er ein Blatt Papier und fing an zu schreiben. Hauptverdächtiger in seinen Augen war Hubert Stein. Warum, konnte er jedoch nicht genau begründen, denn dessen Motiv stand auf recht wackeligen Füßen. Es war mehr ein Gefühl. Aber was hatte dieser mit dem zweiten Mordopfer zu schaffen?
Er wusste, dass Reiser Sebastian Witt favorisierte. Doch welchen Grund hatte Sebastian, seinen besten Freund umzubringen? Er hätte höchstens bei Enzo Rossi ein Motiv, nämlich Rache an seinem Freund. Gab es vielleicht zwei Mörder? Doch dagegen sprachen die Gedichte. Wo ist die verdammte Verbindung zwischen den beiden? Die liegt ganz klar im Fitness-Studio.
Also schrieb er die Namen Dieter und Rainer Hoffstedt auf seinen Schmierzettel. Motiv? Christoph Stein kam dahinter, dass illegal mit Drogen gehandelt wurde.
Vielleicht hatte man ihm auch angeboten, mitzumachen. Er brauchte Geld, das wissen wir. Doch er brauchte es schnell. Also erpresste er die Bande.
Simon schrieb das Wort
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