Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
asziniert blickte er in die lodernden Flammen. Sie fraßen sich ihren Weg durch das Geäst der stolzen Bäume, unbarmherzig und gleichgültig gegenüber dem nach vielen Jahren entstandenen Wuchs. Er wusste, dass er nicht mehr lange bleiben konnte, um das Schauspiel zu bewundern, denn in wenigen Minuten würde es hier vor Feuerwehrleuten nur so wimmeln. Ganz weit in der Ferne hörte er das erste näherkommende Martinshorn.
Hubert hatte recht gehabt, es war ganz leicht gewesen. Die Bäume brannten lichterloh. Er hatte gewartet, bis das Gewitter direkt über ihm tobte, als er das Gemisch mit Spiritus in die vorher von ihm gebohrten Löcher hineingegossen hatte. Er hoffte, dass die Bäume so weit nach unten brennen würden, dass zum Schluss nur noch ein Häufchen Asche übrig blieb. Doch so lange konnte er nicht warten.
Er musste verschwinden.
Sebastian hing sich die Sporttasche über seine Schultern. Er überlegte, den Weg mitten durch den Wald zu wählen, da er ansonsten riskierte, von den Einsatzkräften gesehen zu werden. Das Feuer erhellte die Dunkelheit des Waldes und das Flackern der blutroten Flammen warf unruhige Schatten auf die Erde.
Der beißende Rauch schnürte ihm die Kehle zu und brannte in seinen Augen. Der Gewitterregen vermochte das Feuer nicht zu löschen, stellte er erleichtert fest. Er hob den Kopf, die Tropfen prasselten auf ihn herab und kühlten seine heiße Stirn.
Die Sirenen der Feuerwehr kamen immer näher, aber er konnte sich kaum von dem Anblick des Flammenmeeres lösen. Der Drang, sein Werk zu bewundern, war stärker als die Angst, entdeckt zu werden. Er wollte dabei sein. Er wollte es sehen.
Es gab nur eine Möglichkeit. Er musste es bis zu Christophs Haus schaffen. Niemand würde dort sein. Denn Christoph war tot. Niemand würde seine Anwesenheit bemerken und der Blick auf den Wald wäre frei.
Schnell lief er auf das Häuschen zu, öffnete das Gartentor an der Rückseite des Hauses und schlüpfte hinein in die Dunkelheit des Gartens. Gerade noch rechtzeitig erreichte er die kleine erhöhte Terrasse aus Holz, auf der er so oft mit Christoph gesessen und zusammen ein Bier getrunken hatte.
Die Trauer über den Verlust eines Freundes spülte wie eine Welle über ihn hinweg und hinterließ eine unendliche Leere. Ein Freund ist ein Mensch, dem du deine Seele offenbarst , dachte er. Ich werde niemals wieder jemandem meine Seele enthüllen, niemals.
Er drückte sich ganz nah an die Wand, sodass er von der Straße aus nicht zu sehen war. Da waren sie endlich. Gespannt beobachtete er das hektische Treiben der Feuerwehrleute, die in ihren Schutzanzügen und Helmen, mit den ausgerollten Schläuchen bepackt, die Straße entlangliefen. Er hörte laut gebrüllte Anweisungen an die Einsatzkräfte, verstand jedoch die Worte nicht. Aber das war auch nicht weiter schlimm. Das Schauspiel, das ihm hier geboten wurde, versprach um einiges besser zu werden, als er es sich je erhofft hatte.
Der Brand hatte sich schnell ausgebreitet. Er hatte ganze Arbeit geleistet, aber er wusste auch, dass die Feuerwehr die Flammen schnell unter Kontrolle bekommen würde. Er spürte die glühende Hitze auf seinem Gesicht, doch innerlich fror er. Sebastian fühlte eine große Müdigkeit, die sich langsam in ihm breitmachte, legte sich hin, schloss seine brennenden Augen und schlief sofort ein.
Er träumte. Sein Traum führte ihn hinab an den tiefsten Punkt der Erde.
Ich träume mich immer tiefer, immer tiefer, an den Ort, wo all die Toten sind. Eine zweite Welt öffnet sich vor meinen Augen und ich zerreiße den Schleier, der mein Gesicht bedeckt. Alles erscheint so klar und hell. Wärme umgibt mich und die Toten begrüßen mich freudig. Mein Vater legt behutsam den Arm um meine Schwester und winkt mir zu. Überall blühen wunderschöne Blumen, die so groß wie Bäume sind. Sie rufen mich: Komm, komm, Sebi, komm. Christoph kommt auf mich zu. Als er mich umarmen will, stoße ich ihn von mir. Du bist tot, Freund, aber ich, ich lebe noch. Kannst du mir verzeihen?, fragt er. Und ich sage: Nein, niemals. Er läuft davon in brennende Bäume und ich will ihm folgen, aber es ist zu spät.
*
Nachdem Molly völlig ermattet von der erfolgreichen Bürgerversammlung mit der sich anschließenden hitzigen Diskussion nach Hause gekommen war, hatte sie sich umgehend in ihren VW-Bus zurückgezogen, um dann sofort in einen tiefen Schlaf zu fallen. Der Tag war selbst für eine Molly Josefine Hazelwood eine Nummer zu viel gewesen.
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