Todesrennen
Sie verschonten zwar die Stadt, aber es dauerte bis nach Mitternacht, ehe die dankbare Gästeschar den appetitlichen Duft des Hochzeitsmahls wahrnahm und endlich die Worte hörte: »Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau.«
Preston Whiteway, das Gesicht gerötet, nachdem mehrfach auf den Bräutigam angestoßen worden war, küsste Josephine auf die Lippen. Brautjungfer Marion Morgan versicherte allen, die danach fragten, dass sie von ihrer Position in nächster Nähe des Brautpaars aus hatte feststellen können, dass der Kuss mutig von Josephine erwidert worden war.
Ein lauter Ruf »Das Essen wartet!« trieb Hunderte an die Tische.
Whiteway erhob sein Glas. »Ich trinke auf meine wunderschöne Braut, Amerikas Sweetheart der Lüfte. Möge sie stets höher und schneller in meine Arme fliegen und …«
Wie immer Whiteway seinen Trinkspruch fortsetzen wollte, es ging im Lärm des wie immer knirschenden Ratterns der beiden Achtzylinder-Antoinette-Motoren unter, die Steve Stevens’ überladenen Doppeldecker in die Nachtluft zogen.
Josephine sprang von ihrem Platz am Tisch des Hochzeitspaars auf und rannte so schnell sie konnte durch eine Zelttuchklappe vor einer Viehrampe, die zum Flugfeld führte. Während sie aus den Auspuffrohren beider Motoren Feuer spuckte, schwang sich Stevens’ Maschine über einen Zaun und Mrs. Whiteways Lokomotive hinweg, steuerte in gerader Linie auf ein Bündel Telegrafendrähte zu, verfehlte sie nur um wenige Zentimeter. Dann hüpfte sie mühsam über eine Scheune und verschwand in der Nacht.
Marco Celere stand mit den Leinen der Bremskeile, die er vor den Rädern weggezogen hatte, in der Hand auf dem Feld und winkte der Maschine mit seinem Platow-Rechenschieber und dem Strohhut, der mit einem roten Band verziert war, zum Abschied hinterher.
»Ich sagte dir doch, dass ich mir für die Hochzeitsnacht etwas einfallen lasse.«
»Wohin ist er unterwegs?«
»Nach Abilene.«
»Dieser hinterlistige, fette …«
»Ich habe ihn überzeugt, jetzt schon zu starten, damit wir genug Zeit haben, seine Motoren auf Vordermann zu bringen.«
»Wie kann er sehen, wohin er fliegen muss?«
»Das Licht der Sterne und des Mondes wird von den Schienen reflektiert.«
Josephine rief ihren Mechanikern zu, sie sollten ihre Maschine mit Benzin und Öl auftanken und den Motor starten. Marco folgte ihr, während sie zu ihrem Flugzeug rannte und die Schleppe ihres Brautkleids wie eine weiße Wolke hinter sich herzog. Er zog die Abdeckplane von den Tragflächen des Eindeckers, während sie sich zu Zeltnägeln hinabbeugte, um sie aus dem Erdreich zu ziehen und die Halteseile zu lösen.
»Ich muss dich warnen …«, flüsterte er angespannt.
»Was?« Sie lockerte einen Knoten, befreite die Leine aus einer Öse und ging neben dem nächsten Bodenanker auf die Knie hinunter.
»Falls ›Dmitri Platow‹ irgendetwas zustößt, brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
»Was meinst du? … Beeilt euch!« ,trieb sie ihre Detektiv-Mechaniker an, die Benzin und Öl ka nisterweise in die Tanks leerten. »Wovon redest du? Du bist doch Dmitri Platow.«
»Dmitri Platow wird von Bells Detektiven überwacht. Möglicherweise muss er ganz plötzlich verschwinden.«
Josephine hakte die letzte Spannleine aus, sprang auf die Seifenkiste und kletterte in die Maschine, um schnellstens zu starten. Die Schleppe ihres Hochzeitskleids blieb an einer Verstrebung hängen. »Messer!«, rief sie einem Detektiv-Mechaniker zu, der sofort eine geschärfte Klinge aufschnappen ließ und die Schleppe von ihrem Kleid abschnitt.
»Halten Sie das Ding von dem Propeller fern!«, befahl sie, und der Mechaniker zog den Stoff aus dem Weg. Marco stand noch immer auf der Seifenkiste, sein schnurrbärtiges Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. »Was ist mir dir?«, fragte sie.
»Ich komme wieder. Keine Sorge.«
Sie schob die Steuersäule nach vorn, zog sie zurück und kippte sie nach rechts und links, um sich zu vergewissern, dass Seitenruder, Höhenruder und alettoni einwandfrei funktionierten. »Okay, ich mache mir keine Sorgen. Jetzt aus dem Weg … Kontakt! «
Zehn Minuten nach Stevens hob sie vom Boden ab.
Isaac Bell umkreiste bereits das Feld, da er Andy Moser instruiert hatte, seine Maschine aufzutanken und den Motor aufzuwärmen. Von seiner Position hoch oben am nächtlichen Himmel aus sah er das North Side Coliseum und ganz Fort Worth als matt leuchtende Insel in einem grenzenlosen Meer von Dunkelheit, als das sich
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