Todesrennen
Beschützer«, sagte sie mit einem offenen Lächeln.
Sie war wirklich geradezu winzig, dachte Bell. Kaum größer als eins fünfzig, und sie hatte eine hübsche Stupsnase. Ihr direkter Blick ließ sie älter erscheinen, als sie an Jahren war, obgleich sie die Stimme einer jungen Frau hatte, dünn und mädchenhaft. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. Bell. Ich hoffe, die Betonung auf ›Chefermittler‹ bedeutet nicht, dass Archie gefeuert wurde.«
»Ganz und gar nicht. Archie ist weiterhin für Ihre persönliche Sicherheit verantwortlich. Mein Job ist es, Ihren Ehemann abzufangen, ehe er nahe genug an Sie herankommt, um Ihnen Schaden zuzufügen.«
Ihre Augen verdunkelten sich, und ein ängstlicher Ausdruck glitt über ihre Miene. »Sie werden ihn niemals schnappen, wissen Sie.«
»Weshalb nicht?«
»Er ist zu gerissen. Er denkt wie ein wildes Tier.«
Bell versuchte, sie mit einem Lächeln zu beruhigen, denn er erkannte, dass sie tatsächlich Angst vor Frost hatte. »Wir tun, was wir können, um ihn unschädlich zu machen. Vielleicht können Sie uns einige Hinweise zu seinem Verhalten geben. Irgendetwas, das uns helfen würde, ihn dingfest zu machen.«
»Ich kann Ihnen höchstens Dinge nennen, die nicht helfen werden. Ich fürchte, ich weiß nichts, das helfen könnte.«
»Dann verraten Sie mir, was nicht hilft.«
»Harry ist völlig unberechenbar. Ich wusste nie, was von ihm zu erwarten war. Er ändert seine Absichten blitzartig.« Während sie sprach, wanderte ihr Blick zu dem Bereich des Innenfelds, wo Joe Mudds roter Luftschrauben-Doppeldecker wieder in den Himmel stieg, und Bell erkannte, dass sie ihre Gegner genauso kühl taxierte, wie er selbst es mit einem Gesetzlosen vor einem Messerduell tun würde.
»Können Sie mir etwas über Freunde erzählen, an die er sich wenden würde?«
»Ich habe ihn nie mit einem Freund gesehen. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt Freunde hatte. Er hat sich eigentlich immer von allen Leuten ferngehalten. Er war ein richtiger Einzelgänger.«
»Gestern habe ich in Ihrem Camp ein paar Leute angetroffen. Dabei hatte ich den Eindruck, dass sie dort wohnen.«
»Das sind nur Leibwächter. Harry hatte sie zum Schutz eingestellt, sonst hatte er mit ihnen aber nichts zu tun.«
»Schutz vor was?«
Sie verzog das Gesicht. »Vor seinen ›Feinden‹.«
»Und wer war das?«
»Ich habe ihn gefragt. Ein Mal. Er begann zu brüllen und zu schimpfen. Ich dachte schon, er würde mich umbringen. Dann habe ich ihn nie wieder gefragt. Sie sind in seinem Kopf, glaube ich. Ich meine, er war schließlich mal in der Klapsmühle.«
Bell wechselte behutsam das Thema. »Hat er jemals Freunde mitgenommen, wenn er auf Großwildjagd ging? Jagte er in Gesellschaft?«
»Er hat wohl Jagdführer und Träger angeheuert. Aber sonst war er allein.«
»Haben Sie ihn begleitet?«
»Ich bin immer geflogen.«
»War er deshalb enttäuscht?«
»Nein. Er wusste schon, bevor wir heirateten, dass ich flog.« Ihre Blicke verfolgten in diesem Augenblick eine Blériot, die mit sechzig Meilen in der Stunde vorbeiflitzte.
»Schon vorher? Darf ich fragen, wie Sie zur Fliegerei gekommen sind?«
Ein fröhliches Grinsen brachte ihr Gesicht zum Strahlen. »Ich bin von zu Hause abgehauen – hab das Haar unter einer Mütze versteckt und so getan, als sei ich ein Junge.« Das war sicher nicht schwierig, dachte Bell. Sie sah kaum so aus, als brächte sie mehr als einhundert Pfund auf die Waage.
»Ich fand einen Job in einer Fahrradfabrik in Schenectady. Der Eigentümer baute am Wochenende Flugzeuge zusammen, und ich half ihm bei den Motoren. Ich wusste ganz gut darüber Bescheid, weil ich auf der Farm meines Dads für die Reparaturen der Maschinen zuständig gewesen war. Und an einem Montag schlich ich, anstatt zur Arbeit zu gehen, raus zum Feld und flog die Maschine.«
»Ohne es jemals gelernt zu haben?«
»Wer hätte es mir beibringen sollen? Damals gab es keine Flugschulen. Die meisten von uns haben es ohne Anleitung gelernt.«
»Wie alt waren Sie da?«
»Siebzehn.«
»Und Sie sind einfach in die Maschine eingestiegen und losgeflogen?«
»Warum nicht? Ich konnte ja sehen, wie es funktionierte. Ich meine, das Flugzeug tut doch nichts anderes, als die Luft nach unten zu drücken, und schon fliegt es.«
»Damit haben Sie ohne formelle Ausbildung«, meinte Bell lächelnd, »sowohl Bernoullis Gesetz als auch die Existenz des Venturi-Effekts bewiesen.«
»Was?«
»Ich meine nur, dass Sie sich
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