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Todesriff

Todesriff

Titel: Todesriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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Neonröhre färbte die Haut seiner Hände grünlich weiß. Der zerfranste Rand des Fotos erinnerte ihn an die abgerissenen Gliedmaßen der Toten am Straßenrand. Er nahm ein paar große Schlucke aus der Wodkaflasche.
    Immer wieder erinnerte er sich an jenen Nachmittag, an dem er auf Mira gewartet hatte. Von seinem Platz im Café aus hatte er das Treiben auf der Straße beobachten können, die chaotisch fahrenden und immer wieder sich ineinander verkeilenden Autos, die Menschentrauben, die sich irgendwohin drängten. Er konnte das Geschrei hören und registrierte Blicke voller Hass, Verzweiflung, Zynismus, Angst, Trauer und Triumph.
    Er entdeckte sie sofort, als sie aus einem VW-Passat stieg. Sie warf die Tür zu. Wenn er sich nicht getäuscht hatte, zeigte das Nummernschild einen Adler - es musste also von der UCK-Schatten-Verwaltung ausgegeben worden sein. Jemand hatte sie mitgenommen. Warum auch nicht? Er nippte an seinem Kaffee und stellte gerade die Tasse auf den Unterteller zurück, als ein Mann in Uniform mit UCK-Abzeichen auf dem Ärmel ihr entgegentrat. Er trug eine Waffe geschultert. Sie kamen sich näher, Schritt für Schritt. Ihr Gesicht veränderte sich, ihre Züge spannten sich an, ihr Gang wurde steifer und langsamer, so, als zögerte sie den Moment hinaus, in dem sie zwangsläufig aneinander vorbeigehen mussten.
    Sie kannte ihn!, wusste er plötzlich.
    Als sie an dem Uniformierten vorbeigehen wollte, blieb er stehen und hielt sie am Arm fest. Wütend schüttelte sie die Hand ab - da hatte sie ihn schon im Café entdeckt und eilte über die Straße. Der Mann blickte ihr nach. Kein Zweifel. Es war Goran Hentschel.
    Als sie sich zu ihm ins Café setzte, gab sie ihm keinen Kuss. Aber das hatte nichts zu bedeuten, das vermied sie in der Öffentlichkeit immer. Er musterte sie, versuchte, den Gedanken zu
verdräng
en. Schli eßlich sprach er ihn doch aus: „ Woher kennst du ihn?”
    Fünf oder sechs Sekunden lang, eine Ewigkeit für ihn, sahen sie sich an.
Er wiederholte die Frage, ohne zu lächeln. Sie zuckte die Schultern, schüttelte ihr Kastanienhaar u nd wandte sich an den Kellner: „ Einen Kaffee bitte.”
    „ Es geht dich nichts an.”
Auf ihren Gesicht lag ein abweisender und zugleich stolzer Ausdruck.
    Daraufhin entbrannte zwischen ihnen ein Streit, weil er ihr klar zu machen versuchte, dass sie ein Sicherheitsrisiko darstellen könnte, wenn sie Kontakte zur UCK pflegte. Seine Vorgesetzten würden es ganz sicher nicht gutheißen. Ihr Kaffee wurde gebracht. Sie trank ihn in zwei Schlucken und verabschiedete sich dann.
    Er fühlte sich leer, als er sie die Kreuzung überqueren und in einer Seitenstraße verschwinden sah. Vielleicht hatte er sich ja geirrt, und der Uniformierte, den er gesehen hatte, war gar nicht Goran Hentschel gewesen. Jahrelang war er ihm nicht mehr begegnet. Und vielleicht hatte auch der Mann in Uniform Mira mit jemandem verwechselt.
    Am Abend als er in ihr Haus zurückkehrte, in dem er sich eingemietet hatte, war sie noch nicht da. Es war lebensgefährlich, in der Dämmerung und bei Dunkelheit unterwegs zu sein. Autos rasten ohne
Licht
über die Straßen. Immer wieder passierten Überfälle, Morde. Willkürlich wurden Menschen zusammengeschlagen, umgebracht, nur weil sie die falsche Sprache sprachen. Mira war noch nicht zu Hause. Es war gleich acht. Und er machte sich Vorwürfe und Sorgen. Eine halbe Stunde später kam sie. Er war erleichtert, auch wenn sie jetzt mit ihm wieder streiten würde. Doch sie tat so, als hätte das Gespräch am Nachmittag gar nicht stattgefunden. Aus dem Begrüßungskuss wurde ein langer Kuss, und ohne ein Wort zog sie ihn in ihr Schlafzimmer.
    Später in der Nacht, als sie nebeneinander lagen, tauchte sie wieder in seinem Gedächtnis auf, die Frage, woher sie Goran Hentschel kannte. Aber diesmal sprach er sie nicht aus.
    Nie wieder hatte er sie danach gefragt. Und im Hinterhof des Dalmatia hatte er Goran auch nicht mehr darauf angesprochen.

63
    Interpol hatte endlich geantwortet. T atsächlich war unter dem Namen Skanderbeg eine Untergruppe der UCK bekannt, deren Führer Leke hieß. Ihr Zeichen war ein auf einem Gewehr sitzender Doppeladlers. Von Goran Hentschel, einem ehemaligen deutschen Bundeswehrsoldaten und Ex -P o liz isten, wurde berichtet, dass er sich als Söldner an verschiedenen Kriegsschauplätzen aufgehalten hatte. Kurz bevor sein Tod am zwölften Oktober des vergangenen Jahres bekannt geworden war, war er als bisher einziges

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