Todesritual: Thriller (German Edition)
flankierte Ambulanz. Auf der Mauer des Malecón hatte sich eine Menschenmenge versammelt.
Schnitt zu einem Foto.
Wieder ein Gesicht, wieder eine Porträtaufnahme – und wieder ein Gesicht, das er kannte. Auch dieses Gesicht in jüngeren Jahren, als die Augenbrauen noch schwarz und nicht weiß gewesen waren.
Earl Gwenver.
»Was ist da los?« Max nickte in Richtung Fernseher.
Benny antwortete nicht. Was auch nicht nötig war. Die Kamera zoomte auf eine Leiche ein, die auf einer Trage zur Ambulanz befördert wurde und dabei auf dem Gehweg eine Wasserspur hinterließ. Diesmal berichtete eine Reporterin. Ihr Tonfall war gemäßigter, aber ihre Worte für Max nicht leichter zu verstehen.
»Was sagt sie?«, fragte er.
»Dieser Mann tot.«
»Wann?«
»Gestern.« Benny sah besorgt aus.
» Gestern? « Max hörte die Reporterin das Wort americano sagen. »Wie?«
»Kennst du ihn?«, fragte Benny.
»Wie ist er gestorben?«
Max dachte daran, was er Rosa Cruz über seinen Zusammenstoß mit Gwenver erzählt hatte.
»Sagen die nicht.« Benny trat ein paar Schritte von ihm weg. »Max? Hast du den auch getötet?«
»Nein.« Max schüttelte den Kopf. »Aber ich … ich … Scheiße!«
Benny lauschte den Nachrichten, und seine Augen weiteten sich.
»Mein Gott!«
»Was ist los?«
»Verstehst du denn nicht, was die sagen?«, fragte er und gestikulierte in Richtung Bildschirm. Max schüttelte noch einmal den Kopf.
»Die sagen, sie suchen nach … nach americano , groß, weiß, ohne Haar. Gleicher. Sie suchen nach dir. Sie sagen, du hast zwei Menschen getötet.«
Max starrte auf den Bildschirm und versuchte logisch und vernünftig nachzudenken.
»Wir können hier nicht bleiben«, sagte Benny.
Wer abhaut, ist schuldig, dachte Max. Selbst wenn er sich stellte und sich der Gnade des kubanischen Rechtssystems auslieferte, könnte das bedeuten, dass er Monate im Gefängnis verbringen musste, während er die Vorwürfe gegen sich entkräftete. Und dann – wenn sie ihm glaubten – würden sie ihn ausweisen, und seine Chancen, Vanetta Brown zu finden, wären für immer dahin. Sobald er wieder einen Fuß auf amerikanischen Boden setzte, würde Wendy Pecks Drohung Wirklichkeit werden. Und das nur im besten Falle, wenn nämlich die kubanische Justiz genauso funktionierte wie die amerikanische – was sie natürlich nicht tat.
»Wir müssen weg. Weg von Habana. Ich habe einen Freund. Er kann uns helfen.«
»Einen Freund?«, fragte Max halb benommen.
»Ja. Nicht in Habana. In Trinidad.«
Max musste an die Landkarte in seiner Tasche denken. »In Trinidad ?«
»Ja.«
Max starrte Benny an. Er wollte sowieso nach Trinidad. Hatte Benny seine Taschen durchsucht? Vielleicht war es nur Zufall.
»Ist das ein guter Freund?«
»Ja«, sagte Benny.
»Wie gut?«
»Der beste. Er wird nicht rufen Polizei. Er wird uns außer Land bringen.«
Max dachte nach. Er wollte gar nicht raus aus Kuba. Ohne Vanetta Brown konnte er nicht nach Hause zurückkehren. Aber das brauchte Benny noch nicht zu wissen.
»Wie kommen wir nach Trinidad?«
»Mit Auto«, sagte Benny.
»Du hast ein Auto?«
»Ich besorge Auto.«
37
Das Auto war ein staubiger brauner viertüriger 1957er Chevy Bel Air Cabrio: lang und tief, mit silberfarben eloxierten Zierelementen an den Kotflügeln, der Motorhaube und am Kühlergrill. Das Armaturenbrett und die Türen waren mit Mahagoni verkleidet, die breiten Sitze aus schwarzem Leder, aber das lackierte Holz war längst stumpf geworden, die abgenutzten Sitze wiesen Schweißränder auf, und durch die gerissenen Nähte waren Füllung und Federn zu sehen.
Benny hatte ihn drei Straßen von seiner Wohnung entfernt gestohlen. Es war das einzige parkende Fahrzeug weit und breit gewesen. Benny hatte einfach kräftig an der Tür gezogen, und das Schloss hatte quieschend und mit einem Plopp nachgegeben. Benny hatte den Motor kurzgeschlossen, und so waren sie losgefahren, Benny am Steuer. Aller Eile und Panik zum Trotz hatte er doch noch die Zeit gefunden, einen Koffer zu packen und an seine Schminkutensilien zu denken.
Max saß, eine von Bennys Perücken auf dem Kopf, auf dem Beifahrersitz, die langen Haare hatte er sich in den Hemdkragen gestopft. Das Ding war fast bis zur Versteinerung mit Haarspray zementiert und juckte höllisch, die Synthetiklocken klebten an seinem Schweiß und kitzelten ihn am Rücken, dass er fast wahnsinnig wurde.
Er kam sich reichlich bescheuert vor.
Vor allem aber war er ein nervliches Wrack. Das Herz
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