Todesritual: Thriller (German Edition)
Max den Vorschlag, etwas zu schlafen, aber seine Müdigkeit war verflogen, dafür waren seine Vorahnungen stärker geworden. Er öffnete den Rucksack, der außer den Magnums und den CDs zwei Taschenlampen und eine Videokamera in einer Ledertasche enthielt. Er zog eine Magnum heraus und überprüfte sie, ließ die Patronen herausfallen, drehte die Trommel und inspizierte den Lauf. Die Waffe war gut gepflegt worden. Sie roch noch nach Öl.
Das Flussufer wurde von Scheinwerfern erhellt. Ein paar Teenager veranstalteten einen Wettbewerb im Wasserspringen, ein paar Leute saßen um ein Lagerfeuer versammelt und schauten ihnen zu. Einer nach dem anderen erklommen die Jungen und Mädchen den dunklen Felsen am Flussufer bis zu einem Vorsprung kurz unterhalb der Spitze. Von dort sprangen sie ins Wasser und landeten zwischen zwei Holzplattformen, auf denen mehrere Laternen standen. Sie waren großartige Springer und sehr geübt, sie führten alle möglichen Sprünge aus, die Max bisher nur aus dem Fernsehen kannte.
»Ich glaube, Sie mögen Kuba«, sagte Cruz. »Ich habe gesehen, wie Sie während der Fahrt aus dem Fenster geschaut haben. Dieses Land ist für Sie wie eine schöne Frau, die Sie sich nicht anzusprechen trauen.«
»Hab schon schlimmere Orte gesehen«, sagte er.
»Sie können immer noch bleiben.«
Max lachte. »Und Asyl beantragen? Mit welcher Begründung? Die würden mich hier nicht wollen.«
»Das können Sie nicht wissen.«
» Ich würde mich nicht nehmen. Und außerdem ist der Kaffee hier miserabel.«
Sie kurbelte das Fenster herunter. Die frische Meeresbrise trug den Duft von Jasmin ins Auto. Sie hörten die Kinder schreien und applaudieren, dann ein Platschen, als einer von ihnen ins Wasser tauchte.
»Wenn das hier ein Gefallen ist, den Sie einfordern«, sagte Max, »dann muss dieser Marco Ihnen ganz schön was schuldig sein.«
»Ist er«, sagte sie. »Er ist mein Exmann.«
Max war nicht überrascht, das zu hören. »Sind Sie Freunde geblieben?«
»Wir haben zwei Töchter.«
»Wie alt?«
»Neun und sieben.«
»Schön.«
Ein schwarzes Mädchen in gelbem Badeanzug vollführte einen perfekt gehechteten Salto vorwärts und tauchte fast geräuschlos und beinah ohne Spritzer ins Wasser. Ihre Freunde hielten die Luft an und applaudierten begeistert, als sie auftauchte.
Rosa Cruz räusperte sich.
»Ich muss Ihnen was erzählen«, verkündete sie mit leicht zittriger Stimme.
»Nur zu.«
»Ich habe ungefähr zwanzig Jahre lang als Leibwächterin gearbeitet. Am Anfang habe ich die Ehefrauen ausländischer Botschafter bewacht, dann deren Kinder, dann die Botschafter selbst. Ich war sehr gut in meinem Beruf. Wachsam, zuverlässig und effizient. Ich habe alles gesehen, alle bedacht, nichts dem Zufall überlassen.
Also stieg ich die Karriereleiter hinauf. Eine Zeit lang war ich für Regierungsvertreter zuständig. Dann wurde ich im Ausland eingesetzt. Ich war in Bolivien und Mexiko und sogar zweimal in Amerika, bei den Vereinten Nationen. Das war ein Auftrag und ein Test zugleich. Einige Kubaner kommen nicht zurück, wenn sie ins Ausland gehen. Sie laufen über. Ich habe das nicht getan. Ich habe meine Tour gemacht und bin zurückgekehrt.«
»Wegen Ihrer Kinder?«
»Die waren da noch nicht geboren«, sagte sie. »Sie werden das vielleicht nicht verstehen, weil Sie aus dem Land der freien Wirtschaft und des Kapitalismus kommen, aber ich lebe gern hier. Ich mag das System, ich finde es gut, dass der Wettbewerb unter den Menschen größtenteils ausgemerzt ist. Ich finde es gut, dass der Staat für die Menschen sorgt. Wer will, hat hier sein Leben lang eine Arbeit. Vielleicht nicht unbedingt eine tolle Arbeit, aber eine, von der man leben kann. Man fängt jeden Tag zur gleichen Zeit an und hat zur gleichen Zeit Feierabend. Man weiß ungefähr, wo man in einem Jahr stehen wird. Keiner kann dir deinen Arbeitsplatz einfach unter den Füßen wegkaufen, das Unternehmen zerschlagen und die Einzelteile gewinnbringend weiterveräußern. Ich finde das gut. Ich glaube, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, dann wünscht man sich, dass alles so bleibt, wie es ist. Und in Kuba ist das in der Regel der Fall.
Als sich die Regierung meiner Loyalität sicher war, wurde ich wieder befördert. Jetzt war ich für Castros engsten Kreis zuständig. Nicht ganz im Zentrum, aber sehr dicht dran. Nennen wir es den äußeren engsten Kreis. Mit dieser Aufgabe waren auch einige Privilegien verbunden. Ich bekam ein besseres Auto,
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