Todesritual: Thriller (German Edition)
ansonsten wäre das nie an die Öffentlichkeit geraten. Amerikaner lieben es, ihr Leben im Internet zu veröffentlichen. Offiziell wurde verlautbart, dass er ertrunken ist. Hat Ihr Freund Ihnen erzählt, die Polizei sei auch wegen des Mordes an ihm hinter Ihnen her?«
Max nickte. Dieses Mal lachte sie nicht.
»Und die andere Leiche, die in Havanna gefunden wurde, ungefähr zur gleichen Zeit wie Gwenver? Auf einer Seitenstraße des Malecón?«, fragte er.
»Die alte Frau? Die von ihrem betrunkenen Sohn angefahren wurde?«
»Der Drecksack.«
Max erzählte Rosa so gut wie alles, was seit seiner Begegnung mit Benny passiert war, nur Nacho Savón und Trinidad ließ er aus.
Sie hörte kommentarlos zu. Die Belustigung schwand nach und nach aus ihren Zügen, und die alte Strenge kehrte zurück wie ein Lehrer, der sich klammheimlich in ein chaotisches Klassenzimmer schleicht und die Kinder, ohne ein Wort zu sagen, wieder zur Raison bringt.
»Hat er Ihnen von der Kuh erzählt?«, fragte sie schließlich.
»Von der Kuh?«
»Von der Kuh. Benny Ramírez hat in der Nähe von Santa Clara eine Kuh getötet. Das ist hier ein schweres Verbrechen. Wird mit zehn Jahren Gefängnis geahndet.«
»Ist Castro ein heimlicher Hindu?«
Sie verdrehte die Augen. »In Kuba herrscht Knappheit. Schon seit der Sonderperiode. Kühe dürfen nur mit Genehmigung geschlachtet werden. Laut Verfassung haben alle Kinder unter sechzehn Anspruch auf ein Glas Milch pro Tag. Kinder sind unsere Zukunft«, dozierte sie. »Benny hat die einzige Kuh eines Bauern getötet und sie an ein Hotel in Havanna verkauft. Nur Touristen essen hier Rindfleisch. Der Sohn des Bauern hat ihn in einer Bar in der Hauptstadt ausfindig gemacht. Er wollte Benny aufschlitzen, genau wie Benny die Kuh seines Vaters aufgeschlitzt hatte. Zum Glück für beide sind Sie dazwischengegangen.«
»Ich wünschte, ich hätte es gelassen.«
Sie schwiegen beide. Draußen ließ jemand einen Stock an den Metallgittern entlangrattern, auf und ab, auf und ab. Drinnen herrschte weiter Stille, die Luft war stickig, Max’ Wut verflog. Benny wollte das Land nicht aus ideologischen Gründen verlassen oder weil er auf ein besseres Leben hoffte, sondern weil ihm eine Gefängnisstrafe drohte … für den Mord an einer Kuh. Max mit seinem amerikanischen Pass und seinem Geld war seine beste Option gewesen. Und es hätte fast geklappt. Max konnte es ihm nicht verübeln. Was hätte er in Bennys Lage getan? Das Gleiche. Und was spielte es für eine Rolle? Es war nur sein Stolz, der verletzt war. Das ging vorüber – und zwar schnell.
»Sehe ich das richtig«, sagte er, »ich werde hier gar nicht wegen irgendwelcher ernster Verbrechen gesucht?«
»Sie meinen, außer wegen Diebstahls und Einbruchs und Betretens eines regierungseigenen Gebäudes in einem Sperrbezirk?«
»Oh nein, nicht das schon wieder«, stöhnte Max. »Was haben Sie vor?«
»Ich fahre morgen mit Ihnen auf diese Insel«, sagte sie. »Ich kenne jemanden bei der Küstenwache, der schuldet mir einen Gefallen. Er kann uns hinbringen.«
»So einfach?«
»Ja. Aber was passiert, sobald wir dort sind, liegt nicht mehr in meiner Hand.«
»Sie nehmen natürlich Verstärkung mit, ja?«
»Ich nehme Sie mit.«
»Ich sagte: Verstärkung.«
»Nur Sie und ich.«
»Wie kommt’s?«
»Wie ich schon mehrmals sagte, es ist kompliziert.«
»Und verdammt gefährlich ist es auch. Wir wissen nicht, wie viele Menschen auf dieser Insel sind. Wahrscheinlich hat sich der Pächter eine kleine Armee gegönnt.«
»Die braucht er nicht«, sagte sie. »Er hat ja uns.«
»Sind Sie sicher?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ist nur eine Vermutung.«
»Super …« Max betrachtete den Handabdruck an der Wand. Der vierte Finger fehlte.
»Wohin wollten Sie, als ich Sie festgenommen habe?«, fragte sie.
»Nach Cajobabo.«
»Wollten Sie Benny Ramírez auf den Wetback Express setzen?«
»Davon wissen Sie auch?«
Sie lächelte.
»Der Mann, der uns auf die Insel bringen wird, lebt in einer Stadt namens Imías. Das ist nicht weit von Cajobabo«, sagte sie. »Wir setzen Ramírez auf dem Weg dahin ab.«
»Sie wollen ihn laufen lassen?«
»Ich will Leute wie ihn hier nicht haben. Er ist ein Schandfleck für unsere Gesellschaft. Er gehört nach Miami – wie die anderen auch. Und Sie, Sie werden die Nacht hier in der Zelle verbringen. Wir wollen doch den Anschein wahren.«
»Für wen?«
Sie antwortete nicht.
52
»Jetzt hasst du mich, oder, Max?«, fragte Benny
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