Todesritual: Thriller (German Edition)
wieder tun, das weißt du. Also, warum erzählst du mir nicht, was los ist? Ich würde es dir erzählen.«
Joe sah Max lange an.
Dann legte er das Besteck beiseite, wischte sich mit der Serviette über den Mund und legte sie neben den Teller.
»Die Leute sagen, ein Geheimnis wahrt man am Besten, indem man es niemandem erzählt. Ich habe eins, mit dem lebe ich schon länger, als ich dich kenne. Ich habe nicht einmal meiner Frau davon erzählt – und ihr erzähle ich alles«, sagte er.
»Nur das nicht?«
»Genau. Sagt dir der Name Vanetta Brown etwas?«
Max’ erste Reaktion war Nein. Aber irgendwo in weiter Ferne läutete eine kleine Glocke der Erinnerung.
»Kommt mir vage bekannt vor.«
»Nun …«, fing Joe an und hielt inne. Sein Blick schoss wieder zurück zu der Menschenmenge hinter Max’ Rücken.
Als sich Max gerade umdrehen wollte, ertönte direkt hinter ihm ein ohrenbetäubender Knall, sehr nah, so nah, dass er praktisch nichts mehr hören konnte. Ein gewaltiger Knall, wie von einem Schuss, der direkt über seinem Ohr abgegeben worden war. Er spürte ihn bis hinunter in die Zehenspitzen.
Joes Kopf wurde heftig nach hinten gerissen. Die Menschen hinter ihm hatten überall Blutspritzer.
Joe balancierte auf den Hinterbeinen seines Stuhls, blieb einen Augenblick in der Luft stehen und stürzte dann nach hinten, dabei warf er mit den Beinen den Tisch um.
Instinktiv war Max zur Seite abgetaucht, ein Reflex, weg von dem Knall.
Er rollte sich auf den Rücken und schaute nach oben, aber da waren nur Menschen, die kreuz und quer durcheinanderliefen und sich gegenseitig über den Haufen rannten. Durch den Nachhall in seinen Ohren drangen Schreie und Rufen, das Splittern von Glas und Geschirr, Panik.
Er kroch zu Joe hinüber.
Seinem Freund war ins rechte Auge geschossen worden. Er lag reglos da. Max packte sein Handgelenk und schrie seinen Namen. Kein Puls. Keine Regung. Die Hand war noch warm. Sie würde nicht mehr lange warm sein. Aus seinem Hinterkopf rann Blut, dunkelrot und zäh.
Max riss Joes Waffe aus dem Holster und sprang auf.
Er hörte Geschrei und Weinen. Überall rannten Menschen, um in Hauseingängen und Geschäften Schutz zu suchen. Vor dem Restaurant war niemand mehr. Tische waren umgeworfen worden. Essen auf dem Fußboden. Hinter der Bar kauerten Gäste und sahen ihn verängstigt an.
Er konnte sich nicht bewegen. Er hatte Schmauch in der Kehle.
»Lassen Sie die Waffe fallen!«
Der Befehl eines Polizisten in seinem Ohr, hinter ihm.
»Waffe fallen lassen, sofort!«
Er ließ Joes Waffe fallen und hob die Hände. Jemand packte von hinten seine Arme und drehte sie ihm auf den Rücken. Er wurde zu Boden gedrückt, sein Gesicht ganz nah an Joes Füßen. Man legte ihm Handschellen an. Tastete ihn ab. Um ihn herum Polizisten. Er hörte Sirenen, das scharfe Knacken des Polizeifunks und in seinem Kopf den Widerhall des Schusses.
7
An dieser Stelle war er schon einmal gewesen, auf der falschen Seite des Verhörtischs, um wegen Mordes in die Zange genommen zu werden. Nur dass er dieses Mal keinen Mord begangen hatte.
Sie behandelten ihn wie einen Verdächtigen, ließen ihn in diesem weißen Zimmer mit den fest verschraubten Möbeln warten. Der Stuhl, auf dem er saß, war ein klein wenig niedriger als der auf der anderen Seite und eine halbe Hinterbacke zu schmal, als dass man bequem darauf hätte sitzen können. Die Tischoberfläche, von Faustschlägen eingedellt und aus Langeweile mit Graffiti und Kratzern übersät, erinnerte an die Innenansicht eines alten Blechtopfs. In den Fußboden waren gusseiserne Ringe eingelassen, an denen man Ketten festmachen konnte, und über dieser freudlosen Szenerie hingen in den Ecken schwarze Kameras.
Niemand hatte ein einziges Wort mit ihm gesprochen.
Er war seit zwei Stunden hier und wartete noch immer.
Joe war tot.
Ein Polizist in Uniform hatte das bestätigt. Er war hereingekommen, hatte ein Foto auf den Tisch gelegt, wortlos zu Max herübergeschoben und war wieder verschwunden.
Max starrte das Foto an.
Joe.
Eine einzige Kugel in den Kopf, genau durchs Auge.
Das Foto war keine Stunde nach dem Mord aufgenommen worden – das Leben war noch nicht ganz aus Joes Zügen gewichen. Er sah nicht aus wie tot, eher wie das Opfer eines makabren Halloween-Scherzes, als hätte ihn jemand im Schlaf geschminkt.
Hahaha. Nicht witzig. Überhaupt nicht witzig.
Max wusste: Sein Freund war nicht mehr.
Er war für immer fort.
Ihm war schlecht.
Es folgte
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