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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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nichts verschwand, verkauft an einen von diesen reichen Herren in Reykjavík, und dann gab’s auf einmal keine Arbeit mehr. Die Quoten haben sich die Geschäftsleute in Reykjavík unter den Nagel gerissen. Fisch, der noch nicht einmal gefangen ist, wird verkauft und gekauft, und der ganze Reichtum konzentriert sich auf einige wenige, während die anderen in die Röhre gucken können. Alle Leute hier in der Gegend lebten vom Fisch, aber wenn andere ihn wegkaufen und wir ihn nicht fangen dürfen, ist es zappenduster.«
    »Das ist die freie Marktwirtschaft«, warf Sigurður Óli schnell ein und riss sich vom Fernseher los, obwohl er kein sonderliches Interesse an diesem Thema hatte. »Falls ihr keine Quote kaufen könnt, tut es eben ein anderer, so einfach ist das.«
    »Ja, aber diese Männer sahnen eine Million nach der anderen ab, und sie können damit machen, was sie wollen. Das Quotensystem ist natürlich gut, um die Fischbestände zu schützen, aber mit so einem Quotenanteil ist keinerlei Verantwortung verbunden. Die Inhaber können einfach so mit der Lebensgrundlage vieler Menschen in all diesen Fischerdörfern spekulieren; sie können sie kaufen, verkaufen, vermieten, vererben, verschenken, so als ginge es um ein x-beliebiges Waschpulver. Einige in den Dörfern hier wurden über Nacht steinreich, während andere, deren Quotenanteile in andere Landesteile verkauft oder vermietet wurden, am Hungertuch nagten, weil diesen Typen scheißegal war, ob der Fisch den Leuten in den Westfjorden oder in Reykjavík zugutekam, Hauptsache, sie können den Zaster scheffelweise einstreichen. Diese Leute haben völlig verantwortungslos gehandelt. Denen war es scheißegal, wenn es in den Fischerdörfern keine Arbeit gab, Hauptsache, sie verdienten sich eine goldene Nase. Ganze Landstriche hatten auf einmal keine Fangquoten mehr, und mit ihnen verschwanden auch die Arbeitsplätze. Davon kann ich ein Lied singen.«
    »Aber jetzt hast du es wieder besser, nicht wahr?«
    »Besser? Ich war seinerzeit Vorarbeiter in einer prima Reederei hier im Westen, und weißt du, was ich jetzt mache? Ich arbeite bei Hagkaup im Lager. Ich sortiere die Waren für die Einzelhandelskapitalisten, und dafür kriege ich einen Hungerlohn. Das ist das Quotensystem. Hier im Westen besaß ich ein schönes Haus, und was ich dafür bekam, als ich es verkauft habe, war lächerlich. Irgendjemand hat es gekauft, der es vielleicht einen Monat im Jahr als Ferienhaus nutzt, und dafür konnte ich mir gerade mal eine Zweizimmerwohnung in einem Wohnblock in Breiðholt leisten. Das ist das Quotensystem! Dieses reiche Pack aus Reykjavík kommt und reißt sich unsere Häuser unter den Nagel, als würden sie Monopoly spielen.«
    »Das kannst du doch nicht alles auf das Quotensystem zurückführen«, sagte Erlendur. Er sah, dass der Flachmann sich stark geleert hatte. »Die Fischereibetriebe hier in den Westfjorden stecken doch schon seit langem in einer Krise. Schon seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Leute aus den Landgemeinden nach Reykjavík abgewandert. Die jungen Leute wollen etwas anderes sehen als nur tote Fische. Die erwarten mehr vom Leben, die wollen ins Kino gehen und ins Theater und in die Kringla …«
    »Er pennt.«
    »Was?«
    »Dein Kumpel.«
    Sigurður Óli schnarchte leise in seinem Sessel.
    »Das ist das staatliche Fernsehen«, sagte Erlendur. »Das kann sogar Trolle einschläfern.«

Dreizehn
    Am nächsten Morgen fuhren sie in milchigem Nebel über steile Pässe. In Hrafnseyri am Arnarfjörður, dem Geburtsort von Jón Sigurðsson, machten sie eine Pause. Der Hof lag etwas oberhalb der Straße. Hier war also die Wiege der Unabhängigkeitsbewegung, dachte Erlendur, den die Geschichte des Ortes nicht unberührt ließ. Sigurður Óli hielt auf dem Parkplatz. Erlendur stieg aus und war sogleich von tiefer Stille umgeben. Er konnte zwar bis zur anderen Seite des Fjordes sehen, doch die Wolken hingen so tief, dass sie die Berge ringsum verhüllten. Das Wasser des Fjords war spiegelglatt.
    »Kommst du nicht auch?«, wandte er sich an Sigurður Óli, der immer noch hinter dem Steuer saß.
    »Nein, ich warte hier im Auto«, antwortete der und setzte das Auto in Bewegung, um auf dem Parkplatz zu wenden.
    »Nicht zu fassen«, sagte Erlendur und schlug die Wagentür zu. Es ging auf Mittag zu. Er nahm sich ausgiebig Zeit für einen Rundgang und dachte kopfschüttelnd darüber nach, dass diese jungen Leute heutzutage einfach im Auto sitzen blieben und nicht das

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