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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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geringste Interesse für Geschichte, das Kulturerbe und die Vergangenheit aufbrachten; sie waren immer in Hektik und nicht bereit, einmal innezuhalten, zu betrachten, nachzudenken.
    Er stand auf dem Vorplatz vor den Häusern und ließ die Geschichte des Ortes auf sich wirken. Den Geburtsort von Jón Sigurðsson hatte er nie zuvor besucht, und er versuchte, sich an das zu erinnern, was er über diesen Mann wusste.
    Erlendur wurde aus seinen Gedanken aufgeschreckt, als ein ungeduldiger Sigurður Óli wild zu hupen begann. Macht der dämliche Kerl das etwa meinetwegen, dachte er und drehte sich zum Auto um. Sigurður Óli gab ihm mit Winken zu verstehen, dass er kommen solle.
    »Wieso hast du dir nicht den Geburtsort von Jón angesehen?«, fragte er Sigurður Óli, nachdem sie wieder losgefahren waren. Er war gespannt, wie die Antwort ausfallen würde.
    »Mir hat’s gereicht, das da aus dem Fenster zu sehen«, erwiderte Sigurður Óli.
    »Das da! Willst du damit sagen, es reicht, so etwas im Fernsehen zu sehen? Du weißt, dass das hier der Originalschauplatz ist, keine Attrappe, keine Werbepause, kein Videoclip.«
    »In was für einen Quatsch steigerst du dich da eigentlich hinein? Nur weil ich keine Lust habe, irgendwelche Torfmauern anzuglotzen, bin ich doch kein Trottel.«
    Während sie die Serpentinen von Hrafnseyrarheiði hinauffuhren, hingen beide ihren Gedanken nach, bis Sigurður Óli fand, dass er seinen Standpunkt noch nicht ganz klargemacht hatte.
    »Meiner Meinung nach hat unser Fall nichts mit Jón Sigurðsson zu tun«, erklärte er. »Hier in Island werden Morde nicht unter solchen Vorzeichen verübt. Morde werden weder geplant noch Leichen mit der Absicht an eine bestimmte Stelle gelegt, um dem Ganzen eine tiefere Bedeutung zu geben oder Spekulationen darüber heraufzubeschwören. Morde werden hier im Affekt verübt. Meistens im Suff. Sie haben nie irgendwas Symbolisches an sich oder irgendeine tiefere Wahrheit. Morde sind hier schäbig, scheußlich und ganz und gar zufällig. Nie im Leben hat das alles hier mit Jón Sigurðsson zu tun.«
    »Was hast du eigentlich gegen Jón Sigurðsson?«
    »Ich hab einfach nichts mit diesem Geschichts- und Personenkult und dem ganzen Patriotismus am Hut, mit diesem endlosen Geschwafel über Land, Volk und Vorzeit. Das ist doch total veralteter Quatsch. Große Persönlichkeiten mag es ja meinetwegen immer wieder geben, aber sie sind es nicht, die den Gang der Geschichte bestimmen. All dieser Kult um die Vergangenheit steht dem Fortschritt im Weg und schwächt einen. Schau dich doch an. Du bist vollgestopft mit historischem Zeugs, mit dieser Liebe zur Geschichte und zu irgendwelchen Berühmtheiten, die schon längst vermodert sind, Jón Sigurðsson und Hannes Hafstein und wie sie alle heißen mögen. Was war das nur für ein schöner Mann, schwärmen die Frauen, und weiß der Henker, was noch. Daran klebst du fest und vergräbst dich in die Vergangenheit, beschäftigst dich ausschließlich mit etwas, was irgendwann einmal war und nie wieder sein wird und niemals besser werden kann.«
    Erlendur sah seinen Kollegen völlig perplex an. Sigurður Óli war nicht zu bremsen.
    »Das Schlimmste ist, dass dieses Vergangenheitsgesülze dich so auslaugt, dass es bis in dein Privatleben reicht. Du stagnierst in deiner eigenen Vergangenheit und kannst oder willst dich nicht davon lösen. Sie zehrt an dir. Glaubst du nicht, dass du schon lange eine weitaus höhere Position bei der Kriminalpolizei innehaben könntest, wenn du endlich diese Trägheit abschütteln würdest? Aber das willst du nicht. Du willst dich partout an deine Vergangenheit klammern und irgendetwas hinterhertrauern, was sowieso nie von Bedeutung war, dich einfach daran klammern und in Trauer versinken und dich von deiner Trägheit ersticken lassen. Die Dinge können nie besser werden, als sie einmal waren, und deswegen …«
    »Was zum Teufel ist eigentlich in dich gefahren?«, konnte Erlendur endlich einwerfen. Noch nie hatte er sich von Sigurður Óli oder sonst jemandem so eine Predigt anhören müssen. »Was geht dich mein Privatleben an? Bilde dir bloß nicht ein, du könntest mich mit deinem pseudowissenschaftlichen Psychogeschwafel aus Amerika oder diesem Quatsch von einer neuen Zeit sezieren. Was fällt dir eigentlich …«
    »Ich wollte nur, dass du weißt, weswegen ich nichts mit Jón Sigurðsson am Hut habe«, unterbrach Sigurður Óli ihn.
    Erlendur war für einen Augenblick sprachlos. Bevor er sich

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