Todesrosen
aber dabei außer einer eingetrockneten Blutlache auf dem Küchenfußboden und Hackfleischresten an den Wänden und Schranktüren keine weiteren Anhaltspunkte gefunden. Laut der Aussage eines Zeugen war Herbert also in ein Auto getragen worden, das anschließend wegfuhr. Die Beschreibung des Autos stimmte überein mit dem Wagen, der vor dem Schwimmbad im Laugardalur gestohlen worden war. Jetzt suchte man nach diesem Auto. Man ging davon aus, dass Janus Herbert überfallen hatte und dass Herbert etwas mit dem Mord an Birta zu tun hatte.
Erlendur und Sigurður Óli hatten an diesem Tag mit dem Foto von Birta in der Hand ein Fischerdorf nach dem anderen abgeklappert und waren am späten Nachmittag in einer weiteren Ortschaft angekommen. Um diese Tageszeit war sie so gut wie ausgestorben, und den beiden begegneten nur wenige Menschen, als sie durchs Dorf gingen und sich die Häuser und die wenigen Geschäfte ansahen, die es dort gab. Sigurður Óli setzte sich für eine kurze Weile ab, um Bergþóra anzurufen, ohne dass Erlendur mithören konnte.
Unterdessen schlenderte Erlendur weiter. Als er zu einem kleinen Buchladen kam, beschloss er, einen Blick hineinzuwerfen. Sämtliche Wände waren mit Bücherregalen bedeckt, die vom Boden bis zur Decke reichten, an einer kleinen Glastheke wurden Schreibwaren verkauft, Kugelschreiber, Bleistifte, Karten, Umschläge. Erlendur nahm sich die Zeit, um die Bücherregale zu inspizieren. Die Auswahl an übersetzten Thrillern und Krimis und isländischen Klassikern in Sammelbänden, die in keinem Haushalt fehlen durften, war groß, aber dazwischen gab es auch den einen oder anderen Titel, den er hier nicht erwartet hätte.
Ein Junge im Konfirmationsalter bediente im Geschäft. Er wartete darauf, dass der Mann mit dem Hut, der die Regale so genau studierte, sich endlich für ein Buch entschied, er musste doch etwas kaufen wollen. Gerade setzte er zu der Frage an, ob er ihm behilflich sein könnte, als ein zehnjähriger Junge hereinstürzte.
»Ich brauche einen schwarzen Filzstift«, sagte er.
»Was denn für einen Filzstift? So einen?«, fragte der Konfirmand und zeigte ihm einen der üblichen Stifte zum Schreiben.
»Nein, einen dickeren«, sagte der Junge, der vom Laufen noch außer Atem war. »Mama hat gesagt, er muss groß und dick sein, und schwarz, damit wir die Kartons damit markieren können. Wir ziehen weg.«
Erlendur blickte von den Büchern hoch und sah den Jungen an. So verschwanden also die Leute aus den Westfjorden. Sie schickten ihre Kinder los, um schwarze Filzstifte zu kaufen, mit denen sie ihr Hab und Gut markierten. Genauso war Janus nach Stiften geschickt worden und vielleicht auch Birta, und dann wurden die Kartons beschriftet: zerbrechlich, Küche, Teller, Gläser, Bücher, Badezimmer, und alles ging nach Reykjavík, wo man ein neues Leben beginnen musste. Der Junge schoss mit dem geeigneten Filzstift wieder zur Tür hinaus.
»Verkaufst du viele von diesen Stiften?«, fragte Erlendur den Konfirmanden.
»Das kann man wohl sagen«, antwortete der Junge.
Erlendur und Sigurður Óli aßen in einem kleinen Lokal zu Abend, das zu einer Art Hotel gehörte. Was das Mädchen Birta und ihre Angehörigen betraf, waren sie keinen Schritt weitergekommen. Eigentlich hatten sie in Ísafjörður übernachten wollen, aber weil sie keine Lust hatten weiterzufahren, beschlossen sie, sich in diesem Gasthaus einzuquartieren. Diesmal bekam jeder sein eigenes Zimmer, worüber beide zutiefst erleichtert waren. Zunächst waren sie die einzigen Gäste im Speisesaal, und sie bestellten das Tagesgericht, gebratenen Heilbutt mit Kartoffeln. Bald begann sich das Lokal zu füllen. Sie erregten einiges Aufsehen, zwei Fremde aus der Stadt, einige sprachen sie an, zogen sich aber nach kurzer Zeit wieder zurück, als sich herausstellte, dass sie Kriminalbeamte und wegen des Mordfalls in Reykjavík in die Westfjorde gekommen waren und nach den Anverwandten des Mädchens suchten, das wahrscheinlich von dort stammte und irgendwann nach Reykjavík gezogen war.
»Ist es nicht ein bisschen ungewöhnlich, mit dem Foto von einer Leiche herumzulaufen und es den Leuten unter die Nase zu halten?«, fragte eine üppige Frau in einem XXL-Strickpullover, die das Foto von Birta ganz genau betrachtete.
»Soweit wir wissen, ist so was bislang auch noch nie notwendig gewesen«, erklärte Erlendur wahrheitsgemäß und zündete sich eine Zigarette an. »Aber es hat fast den Anschein, als habe es dieses
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