Todesrosen
diese Brutalität und dieser geisttötende Stumpfsinn im Fernsehen und in den Kinos, das nehmen sich die jungen Leute natürlich zum Vorbild. Die kleiden sich sogar wie die Neger in den amerikanischen Slums und rasen auf irgendwelchen Brettern durch die Straßen. Verbrechen und Kriminalität und Drogen sind an der Tagesordnung. Das arme Mädchen hat unter genau diesem Einfluss gestanden.«
»Das solltest du mit meinem Kollegen besprechen«, sagte Sigurður Óli. »Solche fundamentalistischen Theorien sind ganz nach seinem Sinn.«
»Er ist dann vielleicht auch der Ansicht, dass wir hier in Island nach und nach unsere Unabhängigkeit verlieren, und damit meine ich die geistige Unabhängigkeit. Die ist meiner Meinung nach auf dem absteigenden Ast, alles soll amerikanisiert werden. Überall dieses Okay und Byebye und Lifestyle und Chili Out und Fete.«
»Ich glaube nicht, dass Fete aus dem …«
»All diese Einflüsse verderben die Jugend von Grund auf.«
»Ja, ähm, könnten wir vielleicht wieder auf unseren Fall zu sprechen kommen?«
»Doch, entschuldige. Ich kann mich an diesen Jungen erinnern, diesen Janus, weil er tot war.«
»Tot? Ist er tot?«
»Nein, ich glaube nicht, dass er tot ist, aber er war es für eine Weile, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Deswegen kann ich mich so gut an ihn erinnern. Er war sicher ein oder zwei Minuten tot.«
»Was meinst du eigentlich damit?«
»Er hatte einen Unfall und war in Lebensgefahr, und soweit ich mich erinnern kann, hat eine Klassenkameradin ihn gerettet. Kann gut sein, dass sie Birta geheißen hat. Darüber wurde damals in allen Zeitungen berichtet. Irgendwelche Jungen waren hinter diesem Janus her, um ihm eins auszuwischen. Ich weiß nicht mehr ganz genau, wie es eigentlich dazu gekommen war, aber es hat nicht viel gefehlt, und er wäre umgekommen. Irgendwie schwebt mir vor, sie hätten ihn in einen Schiffsladeraum geworfen.«
Zur gleichen Zeit, als Sigurður Óli sich von dem Arzt verabschiedete, hatte die Polizei in Reykjavík die Wohnung von Janus ausfindig gemacht. Man hatte strengste Sicherheitsvorkehrungen getroffen, bevor man sich Zutritt zur Wohnung verschaffte. Es war nicht bekannt, ob Janus zu Hause war, deswegen hatte man das SEK Viking hinzugerufen. Elínborg, die in Erlendurs Abwesenheit die Ermittlungen leitete, war darüber alles andere als begeistert und hielt diesen Aufstand für vollkommen überflüssig, viel naheliegender sei es, einfach bei dem jungen Mann anzuklopfen und herauszufinden, ob er zu Hause und bereit war, mit ihnen zu kommen.
»Damit könntet ihr Beweismaterial zerstören«, protestierte Elínborg.
»Bei uns hat Sicherheit oberste Priorität«, erklärte der Einsatzleiter, und dabei blieb es.
Nachdem die Mitglieder des SEK die Eingangstür eingeschlagen hatten, stürmten sie den kleinen Flur und drangen in die Küche, das Wohnzimmer und das Schlafzimmer, ins Badezimmer und die kleine Waschküche ein. Innerhalb weniger Sekunden stand fest, dass sich niemand in der Wohnung befand. Keiner leistete Widerstand, es gab keinen Schusswechsel, kein erhobenes Messer. Nichts.
Die Tür war zudem unverschlossen gewesen, wie Elínborg feststellte.
Als klar war, dass es für das SEK nichts zu tun gab, packten die Leute ihre Sachen zusammen und verschwanden. Während die Kollegen von der Spurensicherung sich an ihre Arbeit machten, sahen sich Elínborg und Þorkell in der Wohnung um. Sie war kaum mehr als fünfzig Quadratmeter groß. Das Mobiliar im Wohnzimmer bestand aus einer alten, verschlissenen Sofagarnitur und einem Couchtisch. In der Küche gab es ein paar Teller, Gläser und Besteck, zwei Töpfe und eine Pfanne. Die Kücheneinrichtung war alt, sie stammte wahrscheinlich noch aus der Zeit, als das Haus gebaut worden war, dachte Elínborg. Der Bodenbelag war in allen Räumen derselbe. Im Schlafzimmer befand sich ein Doppelbett, und in der Waschküche stand eine ziemlich neue Waschmaschine.
Es gab keinerlei Anzeichen, dass es in der Wohnung zu irgendwelchen Auseinandersetzungen gekommen war. Sie war ordentlich aufgeräumt, und alle Dinge standen an ihrem Platz. Obwohl es nur wenig Einrichtungsgegenstände gab und die Wände kahl waren, machte die Wohnung einen durchaus freundlichen Eindruck.
Im Schlafzimmer gab es ein paar Bücher, und in einem davon fand Þorkell einen Zeitungsausschnitt aus dem Morgunblaðið. Er rief nach Elínborg, die zu ihm ins Zimmer kam, und reichte ihr den Ausschnitt, in dem über eine
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