Todesrosen
dass die Medien davon Wind bekamen. Alles war noch am gleichen Tag, an dem sie die Mutter ausfindig gemacht hatten, veranlasst worden. Den Vater hatte man noch nicht erreicht. Þorkell hatte herausgefunden, dass er sich im Ausland aufhielt.
Erlendur und Sigurður Óli waren mit Erla zum Flughafen gefahren, wo sie sich von ihr verabschiedeten, und anschließend brachte Erlendur Sigurður Óli nach Hause. Unterwegs berichtete Erlendur ihm von seinem Gespräch mit dem Gewerkschaftsführer in Ísafjörður, in dessen Verlauf Kalmanns Name gefallen war.
»Er sagte mir, dass Leute im Auftrag von Kalmann in den Fischerdörfen im Westen hinter Fangquoten her waren. Wieso mischt sich ein Hoch- und Tiefbauunternehmer in den Quotenhandel ein, kannst du mir das sagen?«
»Kalmann ist ein reicher Mann, der jede Menge Häuser besitzt. Ist er vielleicht der Mann, den diese Charlotte erwähnt hat?«
»Möglich. Kannst du mir sagen, was dahintersteckt?«
»Ist mir völlig schleierhaft«, sagte Sigurður Óli gähnend. Er war müde nach diesem langen Tag und wollte so schnell wie möglich nach Hause und ins Bett. »Glaubst du wirklich, dass Quotenspekulationen und Immobiliengeschäfte etwas mit Birtas Tod zu tun haben?«, fragte er.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, was mit diesem Fall etwas zu tun hat und was nicht, das ist ja das Schlimme. Ich lasse Elínborg das überprüfen.«
»Das Mädchen hieß Anna Birta.«
»Weiß nicht, weshalb die Leute ihren Kindern unbedingt Doppelnamen verpassen müssen«, stöhnte Erlendur. »Das klingt nicht nur affektiert, sondern hat auch zur Folge, dass alles komplizierter wird.«
Es war schon relativ spät, als Erlendur wieder ins Büro zurückfuhr, er hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Er musste an Eva Lind und Sindri Snær denken, an sich selbst und seine Ehe, unter die er vor vielen Jahren einen Schlussstrich gezogen hatte. Um seine Kinder stand es gar nicht so viel anders als um Birta, da gab es höchstens graduelle Unterschiede.
Im Büro wartete der Abschlussbericht des Gerichtsmediziners auf ihn, der tags zuvor eingegangen war. Die Blutproben waren im Labor des Nationalkrankenhauses untersucht worden, und im Bericht stand es schwarz auf weiß. Erlendur brauchte eine ganze Weile, um zu begreifen, was er da las, aber als es ihm klar wurde, ließ er in ohnmächtigem Zorn die geballten Fäuste auf die Tischplatte niedergehen.
Das Mädchen Birta war HIV-positiv und eigentlich noch mehr als das, sie hatte Aids in sehr fortgeschrittenem Stadium. Trotzdem hatten sich keinerlei Spuren der gängigen Medikamente in ihrem Blut gefunden. Sie schien nichts gegen die Krankheit unternommen zu haben. Es gab keinerlei medizinische Unterlagen über sie im Gesundheitssystem, sie hatte sich anscheinend keinem Test unterzogen. Es war ungewiss, ob sie selber gewusst hatte, wie es um sie stand, aber eigentlich hielt man alles andere angesichts des Stadiums der Krankheit für kaum möglich.
Erlendur starrte auf den Bericht und murmelte vor sich hin: » Do you like girls. «
Vierundzwanzig
Birta hatte es Janus kurz vor ihrem Tod mitgeteilt, als er wieder einmal versuchte, sie zur Vernunft zu bringen. Sie hatte es ihm ganz beiläufig und ohne irgendeine Gefühlsregung gesagt: »Ich habe Aids und werde sterben.«
In Amsterdam gab es Anlaufstellen, wo man hingehen und sich eine Blutprobe entnehmen lassen konnte, und ein oder zwei Tage später erfuhr der Betreffende, ob er infiziert war oder nicht. Sie hatte das auf einem ihrer Kurierflüge für Herbert gemacht und dort erfahren, dass sie HIV-positiv war. Birta begriff sofort, was die große, vierschrötige Frau im weißen Kittel ihr da mitteilte und was das für sie bedeutete. Eigentlich wusste sie schon, bevor sie sich dem Test unterzog, dass sie sich vermutlich mit Aids infiziert hatte. Sie spürte es an ihrer körperlichen Verfassung.
Das war ein Jahr vor ihrem Tod gewesen.
»Ich habe in Amsterdam erfahren, dass ich Aids habe«, erklärte sie ohne Umschweife. »Deswegen fühle ich mich immer so elend; die Krankheit hat bereits dieses Stadium erreicht. Keine Panik, es bringt nichts, wenn man sich darüber aufregt.«
Er saß auf dem Stuhl neben ihrem Bett und begriff nicht, was sie sagte.
»Aids, Mensch, was redest du da eigentlich?«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Aids? Hast du Aids? Wo hast du dir das geholt?«, fragte er und merkte selber, wie idiotisch er klang.
»Wo habe ich es mir nicht geholt, solltest du eher
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