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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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seine Ohren sausten, ihm wurde schwarz vor Augen. Voller Entsetzen spürte er den Würgegriff des Erstickens. Er schnappte nach Luft, die es nicht gab. Er schlug um sich, aber je mehr er sich bewegte, desto schrecklicher war dieses Gefühl. Zum Schluss war er sicher, dass er sterben musste.
    Auf einmal schien es ihm besser zu gehen, er wusste aber nicht, warum. Er war im Laderaum versunken, bekam keinen Atem mehr und hatte keine Kraft, um sein Leben zu kämpfen. Das brachte ihm Erleichterung, er brauchte nicht mehr zu kämpfen, um Luft zu bekommen. Er empfand keine Kälte mehr, sondern es hielt ihn eine seltsame Ruhe umfangen, und gleichzeitig spürte er, wie sein Leben erlosch. Das Erstickungsgefühl war verschwunden, an seine Stelle trat ein anderes, angenehmeres Gefühl, wie manchmal abends, wenn er sich todmüde im Bett ausgestreckt hatte, kurz bevor er in den Schlaf hinüberglitt. Er konnte sich erinnern, welcher Gedanke ihm in diesem Augenblick durch den Kopf schoss: War das der Tod? Ruhe und Wärme und Dunkelheit durchströmten ihn.
    Er war tot, als er auf dem Grund des Laderaums ankam. Wo ist Birta?, war sein letzter Gedanke, bevor er starb.
     
    Sie starrte in das Boot hinunter und schrie seinen Namen. Sie konnte ihren Freund nirgends erblicken. Sie drehte sich um und sah, wie die Meute sich zerstreute, und brüllte hinter ihnen her: »Wo ist Janus? WO IST JANUS?« Einer der Jungen blieb stehen, als er sie rufen hörte. Er schrie: »Er ist in den Laderaum gesprungen!« In den Laderaum?, dachte sie. Ist er im Laderaum? Unter all den toten Fischen? Sie zögerte keine Sekunde. Auf dem Schiffsdeck lag ein Strick, den sie an der Reling festknotete und sich um den Bauch band, dann sprang sie hinunter. Sie strampelte sich bis zum Boden des Laderaums vor und tastete mit beiden Händen nach Janus. Mit geschlossenen Augen hielt sie den Atem an und suchte so lange, bis sie ihn fand. Sie war atemlos vom Laufen, das Herz hämmerte ihr in der Brust, ihre Ohren dröhnten, und die Kälte war unerträglich. Sie umschlang Janus mit einem Arm, wusste aber, dass sie nicht dazu imstande war, ihn allein nach oben zu schaffen, er schien bleischwer zu sein. Da spürte sie plötzlich einen Ruck am Seil, es straffte sich, und sie wurde nach oben gezogen. Sie hielt Janus umklammert und holte tief Luft, als sie endlich nach einer Ewigkeit wieder an die Oberfläche kam. Man hievte sie und Janus aus dem Laderaum und legte sie aufs Deck. Sie hustete, würgte und spuckte, doch Janus lag bewegungslos und mit geschlossenen Augen neben ihr.
    Der Mann, der sie aus dem Laderaum hochgezogen hatte, wusste, was zu tun war. Er begann sofort mit Herzdruckmassage und Beatmung, aber ohne Erfolg. Er wiederholte das einige Male, wollte nicht aufgeben, blies, atmete tief, blies, wieder und wieder. Birta lag, vor Kälte zitternd, auf dem Deck und nahm wie im Nebel wahr, dass noch andere Männer hinzukamen. Sie sah auch, dass Janus immer noch kein Lebenszeichen von sich gab.
    Plötzlich aber schoss ein Schwall Meerwasser aus ihm heraus, er rang nach Atem, hustete und erbrach sich. Er kam für einen Augenblick zu sich, verlor dann aber wieder das Bewusstsein. Auf dem Weg ins Krankenhaus kam er im Krankenwagen noch ein weiteres Mal zu Bewusstsein und sah Birta, in eine Decke gewickelt, neben sich. An mehr konnte er sich später nicht erinnern.
    Janus wusste, wie es war zu sterben.
    Es war eigentlich genauso, wie er es in diesen Zeitschriften gelesen hatte, wo von Menschen berichtet wurde, die gestorben und wieder ins Leben zurückgeholt worden waren. Er hatte zwar kein Licht und keinen Tunnel gesehen, aber sich selbst. Er hatte die ganze Zeit denken und sich klarmachen können, was geschah, genauso, wie er sich manchmal ganz genau dessen bewusst war, dass er träumte. Vielleicht war das die Seele, die den Körper verließ. Ihm war nicht mehr kalt gewesen, und das Gefühl des Erstickens war gewichen, stattdessen war er befreit vom Atmen. Er hatte gespürt, wie er aus dem Laderaum hochgehievt wurde, und von oben sah er den Mann, der Birta und ihn hochzog, er sah sich selbst in ihren Armen, sah sich leblos an Deck liegen und den Mann, der ihn zu beatmen versuchte, und Birta ganz in der Nähe, die würgte. Es war wie in einem Traum.
    Urplötzlich erwachte er und blickte dem Mann ins Gesicht, der sich über ihn beugte. Er zitterte vor Kälte und konnte wegen des Meerwassers in den Lungen immer noch nicht atmen. Dann musste er husten und spucken, er würgte und

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