TODESSAAT
Jazz Simmons, Ben Trask, Manolis Papastamos, also die meisten aus dem Team in Griechenland – mit Ausnahme von Harry Keogh! – saßen in einem Boot, das sanft auf einer spiegelglatten See schaukelte. Das Meer war so blau, dass es sich nur um die Ägäis handeln konnte. Eine kleine kahle Felseninsel hob sich als goldgerahmte Silhouette vor der untergehenden Sonne ab, deren Strahlen sich im blauen Wasser brachen. Die erhabene Schönheit der Szenerie war unglaublich detailliert, echt und lebhaft. Nichts daran deutete auf einen Albtraum hin. Doch da dieser beinahe jede Nacht wiederkehrte, wusste Clarke sehr wohl, wie es weiterging.
Er betrachtete Zek, die in einem winzigen Bikini, der nicht viel der Fantasie überließ, auf einer kleinen Plattform am Heck lag und sich sonnte. Sie lag auf dem Bauch, das Gesicht zur Seite gewandt, und ließ eine Hand ins Wasser baumeln. Ihre Finger hinterließen kleine Wellen im glatten Meerwasser. Doch dann ...
Mit einem Mal blickte sie ihre Hand an, riss sie aus dem Wasser, schrie voller Abscheu auf und wälzte sich von der Sonnenplattform herunter an Deck. Ihre Hand war rot verfärbt und blutete! Nein, das stimmte nicht ganz: Sie war lediglich blutbeschmiert. Als alle darauf aufmerksam geworden waren, breitete sich auf dem Meer bereits eine große, blutrote Lache aus – wie ausgeflossenes Öl –, die rasch das ganze Boot umgab.
Aber woher rührte sie?
Sie blickten aufs Meer hinaus, um die Quelle der Lache zu finden. Bisher unbemerkt, hob sich nur fünfzig Meter von ihnen entfernt der muschelverkrustete Bug eines Wracks aus dem Wasser. Als Gallionsfigur trug es ein abscheuliches, doch erkennbares Gesicht mit einem aufgerissenen, laut schreienden Maul, mächtigen Fangzähnen, zwischen denen unaufhörlich das Blut ins Meer hinausströmte!
Und was war das für ein Schiff, das im eigenen Blut langsam außer Sicht gurgelte? Clarke brauchte die schwarzen Lettern auf dem krustigen Rumpf, die in umgekehrter Reihenfolge eine nach der anderen im Wasser versanken, nicht zu lesen, um zu wissen, was da stand: O...R...C...E...N.
Nein, er wusste bereits, dass es sich um das Pestschiff Necroscope aus Edinburgh handelte, das auf ewig einen Ozean aus Blut befuhr oder, wie jetzt gerade, darin versank.
Furchterfüllt beobachtete er, wie das Schiff unterging. Dann sprang er auf, während Papastamos fluchte und eine Harpune an sich riss. Die Blutlache, auf der ihr Boot schwamm, blubberte, kochte fast, als ein namenloses Ding langsam aus der Tiefe heraufstieg. Es war ein Körper, nackt, mit dem Gesicht nach unten, der nun an der Oberfläche trieb und wie eine Qualle schwankte, die ihre Tentakel von sich streckt. Und dann versuchte der Körper tatsächlich, recht schwach allerdings, zu schwimmen!
Papastamos stand bereits an der Reling und zielte mit der Harpune, doch Clarke wollte ihn aufhalten und schrie: »Nein!«
Aber es war zu spät. Der stählerne Speer zischte durch die Luft und schlug dumpf in den Körper des einsamen Überlebenden ein. Dieser zuckte und wälzte sich herum; sein Gesicht war das der Gallionsfigur. Seine roten Augen starrten sie wütend an, und aus seinem roten Rachen quoll Blut, während er endgültig versank.
An dieser Stelle wachte Clarke für gewöhnlich auf.
Er fuhr hoch, als das Telefon klingelte, dann seufzte er erleichtert, da sein morbider Gedankengang unterbrochen worden war. Er ließ das Telefon noch ein paar Sekunden weiterklingeln und beschäftigte sich mit seinem Traum im Licht kalter Logik.
Natürlich war Clarke kein Traumdeuter, doch diesen zu interpretieren war leicht genug. Zu ihrer eigenen Bestürzung hatte Zek als Erste einen Verdacht über Harry geäußert. Was den Hintergrund betraf: Nun, das war wohl verständlich, nachdem sie sich in der Ägäis aufgehalten und dort in jüngster Vergangenheit so viel Schreckliches erlebt hatten!
Und das Ende des Traums? Papastamos hatte dem Schrecken wohl ein Ende bereitet, doch das war nicht das Wesentliche daran. Jeder hätte das erreichen können – außer Clarke! Das war der springende Punkt: Darcy Clarke hatte es nicht getan, hatte es nicht gewollt und hätte es beinahe verhindert! Noch jetzt fühlte er sich nicht in der Lage, etwas zu unternehmen ...
Beim fünften Läuten griff er nach dem Hörer, doch seine Erleichterung war auf der Stelle wie weggeblasen: Am anderen Ende begann der Albtraum erneut.
»Darcy?« Die Stimme des Necroscopen klang ruhig, gesammelt, so unpersönlich wie Clarke sie kaum je
Weitere Kostenlose Bücher