TODESSAAT
wissen beide, dass es weitergehen muss. Deshalb möchte ich, dass Sie von jetzt an die Sache in die Hand nehmen. Ich will, dass Sie den ganzen Laden schmeißen, bis das Problem auf die eine oder andere Art gelöst ist.«
Trask stand auf, lehnte sich an die Wand und sah den Minister an. Auf die eine oder andere Art? , dachte er. Nein, es gibt nur eine Möglichkeit, denn die andere ist undenkbar. Na ja, irgendjemand muss es ja tun, und ich habe genauso viel Erfahrung wie jeder andere hier auch. Sogar mehr als die meisten. Und wenn ich das Sagen habe, weiß ich wenigstens, dass Paxton, dieser Idiot, kein Unheil mehr anrichten kann.
Früher wären es Darcy, Ken Layard, Trevor Jordan und eine Hand voll anderer gewesen. Und Harry natürlich. Doch diesmal würden sie Harry jagen, und das war etwas anderes. Und trotz allem, was Clarke gesagt hatte, sah es so aus, als würden sie auch Jordan jagen. Und das Mädchen, Penny Sanderson? Gott, der Akte nach war sie doch bloß ein Kind! Aber ein untotes Kind!
»In Ordnung?«, fragte der Minister.
Trask seufzte und antwortete mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken. Ja, es war in Ordnung. Möglicherweise hatte Paxton sogar recht. Wenn mit Darcy etwas – irgendetwas – nicht gestimmt hatte ...
Trask blickte das Mädchen an. Ihre Hände waren voller Blut, die Bluse blutbeschmiert. »Geh dich duschen«, meinte er nur. »Aber gründlich.« Als er mit dem Minister allein war, sagte er: »Wenn wir Darcy ... verbrannt haben, müssen wir seine Asche verstreuen. In alle vier Himmelsrichtungen.« Ein leichter Schauder lief ihm über den Rücken. »Harry Keogh kann nämlich selbst mit der Asche noch gewisse Dinge anstellen. Und ich habe nun wirklich keine Lust, Darcy je wieder zu begegnen. Jedenfalls nicht als wandelndem Leichnam.«
9.40 Uhr vormittags
In Darlington war Harry Keogh gerade damit fertig geworden, die Personalakten im Lager von Frigis Express durchzusehen, als drei Dinge gleichzeitig geschahen. Erstens: Der Lagerverwalter, den Harry mit einem getürkten Anruf aus seinem winzigen Büro weggelockt hatte, kehrte unerwartet zurück. Zweitens: Harry fühlte einen Stich – beinahe schon einen Schmerz, wie er ihn nie zuvor gefühlt hatte, in seiner Brust, so als hätte jemand sein Herz in Eiswasser getaucht. Und drittens: Das schwindende Echo eines fernen Schreis hallte in seinem Geist wider, wurde zurückgeworfen, um in einer eigenen, unerreichbaren metaphysischen Vorhölle zu verklingen.
Dem Necroscopen schien es, dass dieser Schrei, wer auch immer ihn ausgestoßen hatte, ausdrücklich ihm galt, als habe ihn jemand aus der Kluft zwischen Leben und Tod beim Namen gerufen.
Ein Toter? Nein, das hörte sich anders an. Telepathie? Nun, möglicherweise. Oder eine Mischung aus beidem? Das war schon eher wahrscheinlich. Harry dachte an seine Mutter. Sie hatte ihm geschildert, was in ihr vorgegangen war, als ein Hündchen namens Paddy in Bonnyrigg auf der Straße von einem Auto überfahren worden war.
War also jemand ... gestorben? Aber wer? Und warum hatte er nach Harry gerufen?
»Wer zum Teufel sind Sie denn?«, fragte der kräftige, rothaarige Lagerverwalter. In Hemdsärmeln trieb er Harry vor sich her in eine dunkle, staubige Ecke, in der er gegen den metallenen Aktenschrank an der Wand stieß. Mit offenem Mund starrte er auf dessen über den Boden verstreuten Inhalt.
Harry blickte nur flüchtig in das fleckige, misstrauische Gesicht des Mannes und sagte: »Psst!«
»Psst?«, wiederholte der andere ungläubig. »Dir werde ich ›Psst!‹ geben, hier einzubrechen. Na, wie sieht’s aus?«
Harry versuchte verzweifelt, dem verhallenden, ätherischen Echo des ... Hilferufs zu lauschen. War es das, ein Hilferuf? »Hören Sie«, sagte er zu dem ziemlich untypischen Lagerverwalter, »halten Sie doch mal einen Augenblick den Mund!« Damit wollte er sich an ihm vorbeizwängen.
»Ach nein?! Du ...!« Auf den feisten Wangen des Mannes bildeten sich zornige rote Flecken. »Ein Dieb und auch noch ein Schwindler, hab ich recht? Ich erkenne doch deine Stimme. Das warst du am Telefon, stimmt’s? Hm, diesmal hast du dir den Falschen ausgesucht!« Er schnappte Harry am Revers und sah aus, als wolle er ihm einen Kopfstoß versetzen.
Der Necroscope konzentrierte sich weiterhin auf den Schrei, zugleich streckte er den Arm aus und packte den Angreifer an der Kehle. Mit einer Hand hielt er ihn in Schach, mit der anderen langte er nach seiner Sonnenbrille und setzte sie ab. Der Lagerverwalter, der
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