TODESSAAT
zum allerersten Mal gesehen hatte, bei der Sache nicht ganz wohl gefühlt. Es war nichts Konkretes, nichts, worauf er den Finger legen konnte, nur ein Gefühl . Aber gerade deshalb waren die Dinge nicht ganz so perfekt, wie sie eigentlich sein sollten.
Johnny erhielt den Familiennamen und wurde – jedenfalls vorübergehend – ein Prescott. Doch von Anfang an verstand er sich nicht mit seiner Schwester. Man konnte die beiden keine fünf Minuten allein lassen, ohne dass sie sich zankten, und obwohl sie nur Kinder waren, hätten die Blicke, die sie sich zuwarfen, töten können. Alice Prescott gab ihrer kleinen Tochter die Schuld, weil sie ein verzogenes Gör war (was heißt, dass sie sich selbst die Schuld gab, weil sie das Kind ja verzogen hatte), und ihr Mann suchte die Schuld bei Johnny, weil er ... eigenartig war. Der Junge hatte einfach etwas, nun ja, Merkwürdiges an sich.
»Natürlich hat er das!«, fuhr seine Frau ihn an, wenn David davon anfing. »Johnny hat keine Eltern gehabt, kein Zuhause und keine Familie außer in Form dieses Waisenhauses. Und das war ja auch nicht gerade das beste. Liebe? Sich um die Kinder kümmern? Wenn du mich fragst, haben sie es ziemlich eilig gehabt, ihn endlich loszuwerden! Das hat herzlich wenig mit Liebe zu tun!«
David Prescott machte sich seine eigenen Gedanken: Vielleicht haben sie ja einen Grund gehabt? Aber was für einen? Johnny ist noch nicht mal sechs. Wie kann jemand bloß etwas gegen ein Kind haben, das noch so klein ist? Noch dazu in einem Waisenhaus, wo sie sich doch um die armen Würmchen kümmern?
Die Prescotts hatten ein kleines Geschäft, das ganz gut lief, einen Kramladen, in dem man so ziemlich alles kaufen konnte. Er lag keine Meile von ihrem Haus entfernt an der Einfallstraße, die von Norden nach Darlington führt, und versorgte eine erst kürzlich errichtete Siedlung von ungefähr dreihundert Wohneinheiten. Da sie vier Tage in der Woche durchgehend und mittwochs und samstags jeweils am Vormittag geöffnet hatten, konnten sie davon recht gut leben. Dank eines Kindermädchens, das stundenweise aushalf, einem jungen Mädchen aus dem Ort, wurden sie auch nicht zu sehr beansprucht.
In einem Schuppen am Ende ihres großen, einsam gelegenen Gartens hielt David Tauben; Alice war nach Feierabend gerne im Freien und buddelte, säte und pflanzte. Bei den Gelegenheiten, an denen das Kindermädchen sich freinahm, wechselten sie sich darin ab, auf die Kinder aufzupassen. Abgesehen von den Reibereien zwischen Johnny und seiner Schwester Carol konnte man das Leben der Prescotts also völlig normal, bequem und ziemlich durchschnittlich nennen. Das war der Stand der Dinge bis zu dem Sommer, in dem Johnny acht wurde. Tatsache ist, dass man bis dahin ihr Leben vielleicht sogar als idyllisch hätte bezeichnen können.
Doch dann hatte David Prescott auf einmal Schwierigkeiten mit seinen Vögeln; und eines Morgens verschwand die Familienkatze – ein gemächlicher, kastrierter Kater namens Moggit, der bei Carol schlief und ihr Ein und Alles war. Er kam nicht mehr zurück. Es gab lange Perioden jenes heißen, schwülen Wetters, das die Leute reizbar macht, einen bei jeder Kleinigkeit auf die Palme bringt und den einen oder anderen auch mal explodieren lässt. In jenem Sommer errichtete David einen Swimming-Pool für die Kinder und überdachte ihn mit einer über einen Aluminiumrahmen gespannten Plastikabdeckung.
Johnny hatte geglaubt, im eigenen Pool zu schwimmen und zu plantschen, würde ihm einen Riesenspaß machen, aber schon nach kurzer Zeit langweilte es ihn. Carol dagegen liebte es, was ihren Adoptivbruder wiederum ärgerte. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand anderem etwas Vergnügen bereitete, was ihm selbst nicht gefiel. Außerdem konnte er Carol nicht ausstehen.
Eines Morgens, drei oder vier Tage nach Moggits Verschwinden, stand Johnny früh auf. Er wusste es nicht, aber Carol war schon wach und schlüpfte in ihre Kleider, sobald sie hörte, wie seine Zimmertür sich leise hinter ihm schloss. Seit neuestem hatte ihr Bruder (sie betonte das Wort immer mit deutlichem Spott) es mit dem Frühaufstehen. Er war Stunden vor den anderen wach, und sie wollte herausfinden, was er eigentlich trieb. Sie meinte es nicht unbedingt böse. Tatsache war jedoch, dass sie ein bisschen eifersüchtig war und ziemlich neugierig. Auch wenn Johnny ein Schwein war, wäre es ihr doch lieber gewesen, wenn er mit ihr im Pool plantschen würde, als irgendwo allein seine dummen,
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