TODESSAAT
und wurde gleichfalls genommen – wieder und wieder, den ganzen langen, heißen Nachmittag über. Es war Liebe und Lust, eben das, was Liebende seit Anbeginn der Zeit getan haben. Doch zugleich war es anders, mehr als das. Es war so etwas wie eine Initiation, für Harry nicht weniger als für Penny; und es bewies ohne jeden Zweifel die absolute Unersättlichkeit der Wamphyri und ihrer Sklaven.
Als sie später erwachte, war ihr kühl, und sie sah Harry mit ihrer Muschel im Schoß dasitzen. Sein Gesicht war ausgezehrt, beinahe schmerzerfüllt. Im Licht der über dem wogenden Ozean untergehenden Sonne zeichneten sich die Konturen einer jeden Vertiefung in seinem Gesicht wie flache Mondkrater ab. Penny kniff die Augen zusammen, bis er kaum mehr als ein dunkler Schattenriss war, und versuchte, diesen neuen Harry ohne die grellen Kontraste wahrzunehmen. Die allzu ausgeprägten Linien verschwammen ein bisschen und ließen sein Gesicht weicher erscheinen, doch der Schmerz war immer noch da. Dann, als er merkte, dass sie ihn beobachtete, verflog die Stimmung, und als sie sich fröstelnd aufrichtete, legte er seinen Mantel um sie.
Sie nahm die Muschel in die Hand und sagte: »Sie ist schön, nicht wahr?«
Er warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. »Es ist ein totes Ding, Penny.«
»Ist das alles, was du siehst, den Tod?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich spüre ihn auch. Schließlich bin ich der Necroscope.«
»Du spürst, dass die Muschel tot ist?«
Er nickte. »Und wie das Wesen, das darin gewohnt hat, gestorben ist. Na ja, eigentlich ist es kein Spüren. Ich ... ich durchlebe es? Nein, das ist es auch nicht.« Er zuckte die Achseln. »Ich weiß es einfach.«
Wieder betrachtete sie die Trompetenschnecke. Die Sonne brach sich im Perlmutt des schillernden Randes. »Sie ist nicht hübsch?«
Er schüttelte den Kopf. »Sie ist hässlich. Siehst du dieses winzige Loch am spitzen Ende?«
Sie nickte.
»Das hat sie getötet. Eine andere Schnecke, kleiner als sie, aber tödlich – für sie jedenfalls – hat sich in sie hineingebohrt und ihr das Leben ausgesaugt. Ja, ein Vampir. Es gibt Millionen von uns.« Sie sah, wie ihm schauderte.
Sie legte die Muschel beiseite. »Das ist eine schreckliche Geschichte, Harry!«
»Sie ist aber wahr.«
»Woher willst du das eigentlich wissen?«
Jetzt klang er schon schroffer. »Weil ich der Necroscope bin! Weil tote Dinge mit mir reden. Alles, was tot ist. Und wenn sie nicht den Verstand dazu haben, dann ... übermitteln sie es mir. Und deine dämliche ›hübsche‹ Muschel? Sie lässt mich das langsame Knirschen empfinden, mit dem ihr Killer sich durch ihre Windungen gefressen hat, wie sein Rüssel in sie eingedrungen ist, und das dumpfe Brennen, mit dem ihre Körperflüssigkeiten ausgelaufen sind und aufgezehrt wurden. Hübsch? Es ist eine Leiche, Penny, ein Kadaver!«
Er stand auf und stieß seinen Fuß lustlos in den Sand. Sie fragte: »Ist es schon immer so gewesen? Für dich, meine ich?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Aber jetzt schon. Mein Vampir wächst. Je weiter er sich entwickelt, desto ausgeprägter treten meine Fähigkeiten zutage. Es gab eine Zeit, da konnte ich nur mit toten Menschen reden beziehungsweise mit Wesen, die ich auch verstehen konnte. Hunden ergeht es nach dem Tod nicht anders als uns, hast du das gewusst? Aber jetzt ...« Abermals zuckte er die Achseln. »Wenn etwas früher einmal lebendig war und jetzt tot ist, kann ich es spüren. Und ich spüre immer mehr davon, immerzu.« Wieder versetzte er dem Sand einen Tritt. »Siehst du diesen Strand? Selbst der Sand seufzt und wispert und stöhnt. Billionen von Leichen, aufgelöst von der Zeit und den Gezeiten. All dieses Leben, dahin, und nichts davon bereit oder willens, still dazuliegen und Ruhe zu geben. Und jedes tote Ding will auch noch wissen: Warum bin ich gestorben? Warum bin ich gestorben? «
»Aber so muss es nun mal sein«, stieß sie hervor. Sein Ton machte ihr Angst. »Es ist schon immer so gewesen. Was hätte das Leben ohne den Tod denn für einen Sinn? Wenn wir die ganze Ewigkeit für uns hätten, würden wir uns überhaupt nicht mehr darum bemühen, auch nur irgendetwas zu tun – weil ja alles möglich wäre!«
»In dieser Welt ...« – er nahm sie bei den Schultern – »... gibt es das Leben und den Tod. Ich kenne aber eine andere Welt, in der es einen Zustand dazwischen gibt ...« Und während es dunkel wurde, erzählte er ihr alles über Starside.
Als er geendet hatte,
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