TODESSAAT
Nordosten der Insel.
Es war acht Uhr abends, als er sich in der Nähe des Hauses materialisierte. Er streckte seine Fühler aus und stellte fest, dass Zek allein war, ging jedoch davon aus, das Jazz nichts dagegen hätte, wenn seine Frau für sie beide sprach. Zunächst versuchte er sie telepathisch zu erreichen; und so, wie sie ihm antwortete, ohne jede Angst, schien es, dass sie ihn erwartet hatte.
»Für ein oder zwei Tage?«, fragte sie, nachdem sie ihn hereingebeten und er erklärt hatte, was er vorhatte. »Aber natürlich wird sie hier sicher sein, das arme Kind!«
»Nicht ganz so arm!«, rutschte es ihm heraus. Es klang beinahe wie eine Entschuldigung. »Im Grunde genommen versteht sie es nämlich gar nicht, deshalb wird sie nicht so sehr dagegen ankämpfen wie ich. Und ehe sie es sich versieht, ist sie eine Wamphyri.«
»Aber auf Starside? Wie wollt ihr dort überhaupt leben? Ich meine, hast du vor ... hast du ...?« Zek gab es auf. Immerhin unterhielt sie sich mit einem Vampir. Sie wusste, dass seine Augen hinter der dunklen Brille loderten, wusste, wie leicht dieses Feuer sie verzehren konnte. Doch falls sie Angst vor ihm hatte, ließ sie sich nichts davon anmerken, und gerade das fand Harry so sympathisch an ihr. Er hatte sie schon immer gemocht.
»Wir werden tun, was wir tun müssen«, erwiderte er. »Mein Sohn hat Mittel und Wege gefunden, zu überleben.«
»Mir scheint«, sagte sie mit einem beinahe unmerklichen Schaudern, »das Blut hat eine sehr starke Anziehungskraft.«
»Es gibt keine stärkere«, entgegnete er. »Darum müssen wir ja gehen.«
Zek wollte nicht aufdringlich sein, konnte jedoch nicht anders – ihre weibliche Neugier. »Weil du deine Mitmenschen liebst und dir selbst nicht mehr trauen kannst?«
Er zuckte die Achseln und verzog das Gesicht zu einem ironischen Lächeln. »Weil das E-Dezernat mir nicht mehr traut!« Doch sein halbherziges Lächeln verschwand gleich wieder. »Wer weiß? Vielleicht haben sie ja recht.« Nach langen Augenblicken des Schweigens fragte er: »Was ist mit Jazz?«
Sie sah ihn an und hob eine Augenbraue, wie um zu sagen: Musst du das wirklich noch fragen?
»Jazz vergisst seine Freunde nicht, Harry. Wenn du nicht gewesen wärst, wären wir vor langer Zeit auf Starside gestorben. Und in dieser Welt? Ohne dich wäre der Sohn des Ferenczy, Janos, noch immer am Leben und würde sich zu einer immer größeren Plage auswachsen. Wie dem auch sei, Jazz ist in Athen, um die doppelte Staatsbürgerschaft zu beantragen.«
»Wann kann ich Penny herbringen?«
»Das liegt bei dir. Sofort, wenn du möchtest.«
In dem Hotel in Nikosia hob Harry Penny aus ihrem Bett, ohne sie dabei zu wecken, und Augenblicke später wurde Zek Zeugin, wie er sie sanft zwischen die kühlen Laken des Gästezimmers dieser ihrer neuen, vorübergehenden Zuflucht bettete. Sie nickte bei sich, überzeugt, dass, wenn es überhaupt jemand konnte, der Necroscope am ehesten in der Lage war, auf Starside oder wo auch immer auf das Mädchen aufzupassen.
»Und was jetzt, Harry?«, erkundigte sie sich, während sie auf dem über die Klippen und das mondbeschienene Meer hinausragenden Balkon Kaffee mit einem Schuss Metaxa servierte.
»Nach Perchorsk«, sagte er nur.
Doch er hatte seine Tasse kaum zur Hälfte geleert, als er auf dem Stuhl einschlief ...
Dass er der Meinung war, sich hier ausruhen zu können, bewies sein Vertrauen zu Zek. Das Vertrauen, das Zek Föener in ihn setzte, zeigte sich darin, dass sie darauf verzichtete, ihre Harpune mit dem silbernen Speer zu holen, um ihn auf der Stelle zu töten und Penny gleich dazu. Das tat sie nicht; doch selbst Zek brachte es nicht fertig, sich völlig sicher zu fühlen.
Bevor sie zu Bett ging, rief sie nach Wolf (einem richtigen Wolf, der auf Starside geboren war) und postierte ihn, als er aus dem Schatten der duftenden Pinien kam, vor ihrer Tür. Weck mich, wenn sie sich rühren, befahl sie ihm.
Um Mitternacht wachte Harry auf und machte sich auf nach Perchorsk im sowjetrussischen Ural. Zek beobachtete ihn, als er ging, und wünschte ihm viel Glück.
Im Ural war es 3.30 Uhr in der Frühe. In den Tiefen des Perchorsk-Projekts lag Viktor Luchov in seinem Bett und hatte Albträume. Er würde immer Albträume haben, solange sie ihn hier behielten. Doch nun, da das britische E-Dezernat sie gewarnt hatte, war das Albdrücken um einiges schlimmer geworden.
»Worin genau hat die Warnung denn bestanden?«, fragte ein nur verschwommen wahrzunehmender,
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