TODESSAAT
verbreitet, dass die Menschen sich einfach nicht damit abfinden konnten. Deshalb die Katjuscha-Geschütze. Deshalb die Flammenwerfer, die überall dort zu finden waren, wo man in anderen geheimen Einrichtungen Feuerlöscher erwartet hätte. Deshalb die Angst, die in Perchorsk allgegenwärtig war. Selbst jetzt.
Ja, selbst jetzt ...
Manches hatte sich verändert, stellte Harry fest, aber nicht sehr. Zum einen waren die hölzernen Bodendielen der Plattform des Saturnringes durch Stahlplatten ersetzt worden, die von der Sphäre aus wie die Schuppen eines gigantischen Fisches strahlenförmig nach außen liefen.
Die Katjuschas waren ebenfalls verschwunden. Stattdessen war das Tor von einem auf seiner Höhe angebrachten System bedrohlich wirkender Düsen umgeben. Weiter oben standen entlang der gewölbten Wand der Höhle auf weiteren Plattformen die großen Glasbehälter, die die Flüssigkeit für das Sprinklersystem enthielten: unzählige Gallonen hochgradig ätzender Säure. Die Stahlplatten des Ringes neigten sich zur Mitte hin leicht nach unten, sodass ausströmende Säure immer in diese Richtung floss. Unter dem Sphärentor diente ein riesiger Glastank in der Mitte des Magmasse-Bodens dazu, die Säure, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte, wieder aufzufangen.
Ihre »Aufgabe« bestand selbstverständlich darin, alles, was eventuell von der anderen Seite herüberkam, zu blenden, kampfunfähig zu machen und so schnell wie möglich aufzulösen. Denn nach der letzten grotesken Begegnung – mit einer Kampfkreatur der Wamphyri – war Viktor Luchov klar geworden, dass Stahlgeschosse oder eine Gruppe von Männern mit konventionellen Flammenwerfern einfach nicht ausreichten. Nicht für diese Art Wesen.
Das zweite Sicherungssystem, das sie damals in Gebrauch hatten, hatte es schließlich geschafft. Tausende Liter explosiven Brennstoffs ergossen sich ins Innere und wurden entzündet. Danach war der Komplex allerdings nur noch eine Ruine gewesen. Seitdem ...
»Warum haben Sie die Anlage damals nicht aufgegeben?«, wollte Harry wissen, nachdem er alles gesehen hatte, was er sehen wollte. »Warum haben Sie sie nicht einfach verlassen und alles dichtgemacht?«
»Oh, das haben wir – vorübergehend«, erwiderte Luchov und blinzelte kurz, während er angestrengt versuchte, seinen Traumbesucher im gleißenden Schein des Tores zu erkennen. »Wir haben die Anlage verlassen, die Tunnel abgeriegelt, alle horizontalen Luft- und Versorgungsschächte, die in die Schlucht führten, mit Beton ausgegossen und vor den ehemaligen Eingang eine gigantische Stahltür wie zu einem Banktresor gebaut. Ja, mit dem Perchorsk-Projekt haben wir es genauso gut hingekriegt, wie sie es später mit dem Reaktor in Tschernobyl gemacht haben! Und dann haben wir da draußen in der Schlucht Leute mit Messgeräten hingesetzt, die alles abhorchten ... bis uns klar wurde, dass wir die Stille einfach nicht ertragen konnten!«
Harry wusste, was er meinte. In Tschernobyl konnte sich das Grauen nicht von selbst wieder in Gang setzen, es würde kein eigenes Bewusstsein entwickeln. Wenn in Perchorsk jedoch vernunftbegabte Wesen die Löcher verstopfen konnten, bestand jederzeit die Möglichkeit, dass andere – und mochten sie noch so fremdartig sein – sie wieder aufmachten.
»Wir mussten es einfach wissen, mussten uns selbst davon überzeugen können, dass hier unten alles in Ordnung war«, fuhr Luchov fort. »Zumindest, bis wir in der Lage waren, endgültig damit fertig zu werden.«
»Oh?« Das interessierte Harry. »Endgültig damit fertig zu werden? Können Sie mir das erklären?«
Ebendies hätte Luchov wahrscheinlich getan, nur hatte Harry sich dazu hinreißen lassen, eine Idee zu aufmerksam zu werden, zu real. Plötzlich war dem Projektdirektor klar, dass es sich hier um mehr als einen gewöhnlichen Traum handelte.
In seinem kargen, zellenartigen Zimmer schreckte der Russe aus dem Schlaf, fuhr in seinem Bett hoch und sah Harry im Dunkeln sitzen und ihn aus blutrot leuchtenden Augen anstarren. Dann fiel Luchov sein Traum wieder ein, und vor Entsetzen rang er um Atem, während er sich an den bloßen Stahl der Wand drückte. »Harry Keogh!«, keuchte er. »Sie sind es! Sie ... Sie Lügner! «
Abermals wusste Harry sofort, was er meinte. Doch er schüttelte den Kopf. »Ich habe Sie nicht belogen, Viktor. Weder habe ich Menschen getötet, um ihr Blut zu trinken, noch habe ich Vampire geschaffen, und ich selbst bin auch nicht auf diese Weise infiziert
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