TODESSAAT
dass erst Ruhe einkehren würde, wenn er diese Sache erledigt hatte.
Sie spürte seine Entschlossenheit und verstärkte seinen Zorn durch ihren eigenen. Schnapp ihn dir für mich, Harry! Krieg diesen Bastard für mich, hörst du?
»Und auch für mich«, antwortete er. »Denn sonst werde ich ihn immer bei mir haben, sonst wird er wie Schleim an den Wänden meines Verstandes kleben. Aber, Pam ...«
Ja?
»Den Kerl einfach umzubringen, reicht nicht aus. Es wäre nicht genug, verstehst du? Aber wenn du willst, gibt es für dich eine Möglichkeit, mir zu helfen. Du bist stark, Pamela, noch im Tod, genau wie du es im Leben warst. Und was ich im Sinn habe ... Ich glaube, du würdest noch mehr Freude daran haben als zu Lebzeiten.« Er erklärte ihr, was er vorhatte. Daraufhin schwieg sie eine Weile.
Schließlich sagte sie verblüfft: Ich glaube, jetzt weiß ich, wieso die Toten neuerdings Angst vor dir haben, Harry. Dann fuhr sie fort: Stimmt es, dass du ein Vampir bist?
»Ja ... und nein«, erwiderte er. »Nicht ganz jedenfalls. Noch nicht. Aber woanders werde ich einer sein – eines Tages.«
Ja. Er registrierte ihr mentales Nicken. Ich glaube, du wirst einer werden. Kein Mensch sonst würde so denken wie du gerade eben. Jedenfalls niemand, der nichts als ein Mensch ist.
»Wirst du es trotzdem tun?«
Oh ja!, antwortete sie, und ihre Totensprache klang nun äußerst grimmig und entschlossen. Wer oder was du auch sein magst, ich werde alles tun, was du mir aufträgst, Harry Keogh, Vampir, Necroscope! Alles, was notwendig ist, um diese Sache zu Ende zu bringen. Überhaupt alles, was du willst und wann du es willst. Alles ...
Harry nickte. »Dann ist es also beschlossen«, stellte er fest.
Während der nächsten mehr als dreißig Stunden war der Necroscope voll beschäftigt, genau wie das E-Dezernat auch. Am darauf folgenden Tag, einem warmen Abend Mitte Mai, rief der verantwortliche Minister das Dezernat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Vorher noch entband der Minister Darcy Clarke von allen Pflichten, da Geoffrey Paxton ihn unter anderem über die von Clarke an Keogh gesandten Polizeiakten unterrichtet hatte. Außerdem stellte er Clarke in seiner Wohnung im Londoner Norden unter Hausarrest.
Paxton erwartete den Minister bereits im Erdgeschoss. Als sie sich begrüßten, kam Ben Trask gerade durch die Drehtür von der Straße herein. Trask wirkte erschöpft und fast schon abgehärmt. Der Minister nahm ihn zur Seite und sprach leise ein oder zwei Minuten mit ihm, und ausnahmsweise hatte Paxton einmal Verstand genug, sich herauszuhalten. Dann nahmen alle drei den Aufzug und fuhren direkt hinauf ins Operationszentrum.
Die zusammengerufenen Agenten saßen schweigend in dem Raum und warteten auf den Minister. Er ging sofort zum Podium und blickte über die Reihen der meist völlig durchschnittlich wirkenden ESPer, der besten Gedankenspione Großbritanniens, die ihn erwartungsvoll ansahen. Er kannte sie alle von den Fotografien in ihren Akten her, doch getroffen hatte er bislang nur Darcy Clarke und Ben Trask.
Wäre Clarke anwesend gewesen, wäre er vielleicht aufgestanden, um dem Minister seinen Respekt zu erweisen. Dann hätten die anderen dasselbe getan. Das Problem mit diesen Kerlen war immer gewesen, dass sie sich für etwas Besonderes hielten. Und das waren sie ja auch: etwas verdammt Besonderes!
Als er sie so musterte, empfand er dasselbe, was andere vor ihm empfunden haben mussten: Physik und Metaphysik, Roboter und Romantik, technische Tricks und Gespenster – zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Er schüttelte diese Gedanken ab und versuchte, den Gesichtern vor sich Namen zu verleihen: Ben Trask, menschlicher Lügendetektor, mausfarbenes Haar und grüne Augen, hängende Schultern. Möglich, dass sein saurer Gesichtsausdruck daher rührte, dass er wusste, dass die ganze Welt log. Es war Trasks Gabe zu erkennen, was auch immer falsch war. Er durchschaute jede Lüge auf Anhieb. Sicher, damit wusste er noch lange nicht, wie die Wahrheit aussah, aber wenn etwas falsch dargestellt wurde, war ihm das augenblicklich klar. Keine noch so clevere Fassade vermochte ihn zu täuschen. Die Polizei nahm seine Dienste häufig in Anspruch, wenn es um besonders hartnäckige Verbrecher ging, und er war ein beliebter Gast bei internationalen Verhandlungen, wenn seine Regierung wissen wollte, ob alle Karten auf dem Tisch lagen.
David Chung: ein junger Mann aus London, Lokator von Beruf. Und er war gut! Ein
Weitere Kostenlose Bücher