TODESSAAT
Ihr wart der Übelste eines üblen Haufens. Doch was für eine Bedeutung hat das in diesen Tagen noch? Kommt und holt mich, wenn Euch danach ist – oder schert Euch fort und überlasst mich meinen Träumen.
Die Gedankenstimme verblasste wieder; der, dem sie gehörte, tauchte zurück in eisige Traumtiefen; doch Shaithis, indem er seine vampirischen Sinne nun allesamt aufs Höchste konzentrierte, glaubte bereits, den Quell aufgespürt zu haben. Hier bin ich, hier oben!, hatte die mentale Stimme ihn ganz am Anfang wissen lassen. Also irgendwo in diesen eisigen Höhen ...
Shaithis befand sich längst im Herzen der ins Eis gemeißelten, windumfauchten Burg. Dort, umschlossen von einer Schicht klaren Frosts, alles in allem gut neunzig Zentimeter dick, konnte er einen massiven zentralen Kern vulkanischen Gesteins ausmachen. Zerfetzt ragte er hoch empor wie der verknöcherte Stumpf eines einst gläsernen Zahns: ein steinerner Auswurf des altehrwürdigen Vulkans. Und an dieser eisigen Hülle zogen sich tatsächlich Stufen empor, gläserne Stufen – zogen sich, in kristallglitzerndes Eis getrieben, in Spiralen rings um das lavasteinerne Fundament der Burg herum hoch und höher und verloren sich schließlich nach endlos scheinenden Windungen in Grotten aus glühender Kälte.
Ihm blieb nichts, als ihnen zu folgen; der Vampir-Lord vertraute sich den frostüberwachsenen Stufen an und erstieg die gezackte Spitze des Felsenkerns, hin zu einer Verwerfung, die gleich einem schwarzen vulkanischen Fangzahn gerade nach oben stieß und so lebendig wirkte, als könne sie die Hülle jeden Moment durchstoßen. Dort war es schließlich, dass Shaithis durch Eis so hart wie Fels starrte – und dem Verursacher der geistigen Botschaften gegenüberstand.
Dort, in einem blau glosenden Herzen aus Eis – in einer Lava-Nische, aufrecht sitzend, die eine Hand so leicht auf einem Felsengrat ruhend, als handle es sich um einen Lieblingssessel – ein Mann, so alt wie die Zeit, müde, welk und unheimlich! Ins Eis eingeschlossen wie eine Fliege in Bernstein! Die Lider hatten sich beizeiten über die Augen gesenkt, sein gefrorener Körper regte sich nicht, seine Meine war so finster wie sein Los. Und doch saß er dort voller Stolz, den dürren Hals gereckt, den Kopf hoch erhoben, und mit jenem gewissen Etwas in der ganzen Erscheinung, das gedämpft, jedoch entschieden von seiner Abstammung kündete: Er war definitiv ein Wamphyri! Kehrl Lugoz, wer auch immer er gewesen sein mochte –
Nein, wer auch immer er nach wie vor war!
Shaithis streckte eine Hand zu jener Mauer glatten Eises hin, presste sie hart darauf, bis ihm die Handfläche kalt und flach erschien. Eine Minute verging, dann noch eine – bis schließlich: Poch!
Es war der schwache Schlag eines Herzens – so furchtbar schwach und scheinbar weit entfernt ... doch er war da. Und nach zwei weiteren Minuten abermals: Poch! – und so weiter. Kehrl Lugoz lebte. Ganz gleich, wie zögernd sein Herz auch pumpte, ganz gleich, wie sehr sein Leib schon zu Stein geworden war (und er war beinahe zur Gänze versteinert) – er lebte immer noch. Nur, was war dies für ein Leben, fragte Shaithis sich ein zweites Mal.
Er starrte angestrengt auf das ausgedorrte ... Ding, studierte es durch neunzig Zentimeter dickes Eis, welches, obgleich rein und pur, nichtsdestotrotz alles verzerrte und verlagerte. Und nun glaubte er die Antwort auf jene andere Frage zu kennen, die ihn unlängst ebenfalls beschäftigt hatte: Was war schlimmer – untot begraben, in die Höllenländer geschickt oder hierher verbannt zu sein? Dem Vampir-Lord fröstelte bei dem Gedanken an all die namenlosen Jahrhunderte, die vergangen waren, seit Kehrl Lugoz diesen Ort aufgesucht und sich niedergelassen und darauf gewartet hatte, dass das Eis um ihn her Gestalt annahm.
Poch! Und dieses Mal, da er ganz in seinen eigenen Gedanken verloren gewesen war und somit überrascht wurde, riss Shaithis seine Hand zurück.
Kehrl Lugoz war zu betagt; undenkbar, sein Alter auch nur annähernd richtig zu schätzen. Die Wamphyri alterten, wenn sie denn alterten, so, dass dies nicht notwendigerweise offensichtlich wurde. Shaithis selbst war über fünfhundert Jahre alt, doch er sah nicht älter aus als ein gut erhaltener Fünfzigjähriger. Aber angesichts von Entbehrungen, wie jener hier sie erfahren hatte, gab es nichts mehr geheim zu halten. Lugoz sah wahrhaftig beinahe so alt aus wie die Zeit.
Die Augenbrauen über den geschlossenen, tief in die
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