TODESSAAT
Höhlen gesunkenen, schräg gestellten Augen waren buschig, weiß, eingefasst in Eis wie sein gesamter Leib. Auch seine Haare waren weiß, ein Heiligenschein aus Schnee über einer verrunzelten, haselnussbraunen Stirn, deren weiße Strähnen sich wild gekräuselt zu schneckenmuschelförmigen Ohren hin ergossen und sie zur Hälfte verbargen. Sein uraltes Antlitz war nicht so sehr runzlig als vielmehr zerfurcht, mumifiziert wie das eines Trogs, der zu lange in seinem Kokon verblieben war und nun wie eine überreife Frucht verdarb . Die grauen Wangen waren eingefallen, das Kinn wirkte ausgeprägt; heller Bartflaum deutete sich darauf an. Augenzähne, so groß wie Fangzähne, überragten die welke Unterlippe; sie hatten eine gelbe Färbung angenommen, und einer davon war abgebrochen. In dem gefrorenen Vampir war nicht genügend Kraft verblieben, um einen neuen nachwachsen zu lassen.
Die Nüstern der flachen, gekräuselten Nase (die streng genommen viel eher einer Fledermausschnauze glich als dies bei den allermeisten Wamphyri üblich war), zeigten Spuren von Verfall: eine Krankheit, vermutete Shaithis. Und eine große, purpurne Geschwulst war zu sehen, die sich unter dem Kinn wölbte wie der aufgeblähte Kehllappen eines Sonnseiten-Vogels zur Paarungszeit.
Was Kehrl Lugoz’ Kleidung anbelangte: Er trug eine schlichte dunkle Robe, die Kapuze war zurückgeworfen; weite Ärmel umschlotterten die mageren Handgelenke, der Saum ruhte locker auf Hühnerwaden. Nur dass natürlich weder Ärmel noch Saum tatsächlich locker waren – nein, auch sie waren im Griff des Eises erstarrt und hart wie Stein. Lugoz’ Hände, die unter der Robe hervorragten, hatten auffallend langgliedrige Finger, und diese wiederum scharfe, spitze Nägel. Am rechten Zeigefinger trug er einen breiten goldenen Ring. Das Siegel vermochte Shaithis nicht auszumachen. Dickes Aderwerk stand weiß – anstatt olivfarben oder purpurn – auf seinem Handrücken hervor. Bevor diese Kreatur zu Eis erstarrt war, hatte sie einen langen, langen Weg ohne Blut zurückgelegt.
Wacht auf!, sandte Shaithis. Ich will Eure Geschichte hören, Eure Geheimnisse erfahren. In der Tat, denn mir will scheinen, Ihr seid Wamphyri-Geschichte! Jener Shaitan, von dem Ihr sprecht: Meint Ihr damit Shaitan den Ungeborenen? Er und seine Jünger wurden in der Dämmernis aller Legenden in die Eislande verbannt. Doch dass er immer noch hier sein soll? Wie? Nein, ich kann’s nicht glauben. Wacht auf, Kehrl Lugoz! Beantwortet meine Fragen.
Es kam keinerlei Reaktion; das alte Geschöpf im Eis war zu seinen Träumen zurückgekehrt; sein geschrumpftes Herz pochte weiterhin Schlag um Schlag, doch wollte es Shaithis so vorkommen, als geschehe dies inzwischen sehr viel langsamer. Lugoz lag im Sterben. Langlebigkeit, selbst der Scheintod, ist nicht Unsterblichkeit.
»Verdammt sollst du sein!«, spie Shaithis laut aus. Von den Eingeweiden der Eisburg hallte sein Fluch zu ihm zurück – gepaart mit anderen Echos? Er wartete, bis das Getuschel verklang und nur mehr das unheimliche Ächzen des Eiswindes verblieb, dann tastete er mit seiner Vampir-Wahrnehmung ringsumher. Befand sich noch jemand hier drinnen?
Nun, wenn dem so war, schirmte er seine Präsenz meisterhaft ab. Es sei denn ...
Plötzlich erinnerte Shaithis sich wieder an den Geflügelten, den er fressend allein zurückgelassen hatte! Falls irgendjemand ihn dort antreffen sollte ...
Sein Geist griff hinaus zu dem Hybriden, fand ihn nach wie vor reißend und schlingend und stieß eine weitere Verwünschung aus, dieses Mal jedoch im Stillen. Unmöglich, die Bestie jetzt in die Lüfte zu bringen! Doch ihn fortschicken von diesem Ort – das zumindest konnte er.
Weg mit dir!, befahl er. Schnell, schnell, ganz gleich wie – aber verschwinde! Nach Westen, einen Kilometer weit mindestens, und dort versteckst du dich. Egal wie, so gut du kannst. Sogleich fühlte er in seinem Verstand, wie die stumpfsinnige Kreatur sich in Bewegung setzte.
Befriedigt, dass der Geflügelte nun Distanz zwischen sich und Volses tote Kreatur brachte – und was oder wer auch immer in der Nähe umherschleichen mochte –, wandte Shaithis sich abermals dem ursprünglichen Problem zu. Beim ersten Mal war das alte Ding im Eis durch das Geklirr fallender Eistrümmer erwacht. So sei es!
Der Vampir-Lord begutachtete einen höher gelegenen Sims, ein Gebilde mit zahllosen Auswüchsen und Zacken, das einem binnen eines einzigen Herzschlags gefrorenen Wasserfall gleichkam.
Weitere Kostenlose Bücher