TODESSAAT
Pinescu und Fess Ferenc samt ihrer verkrüppelten Hybriden auf der Findlingsebene der Sternseite in einem Aufruhr aus Staub und Splittern abstürzen sehen und gedacht, dies bedeute ihr sicheres Ende. Entweder das, oder einen langen Fußmarsch nach Norden. Was Volse betraf ... hatte er sich offenbar geirrt. Der verschlagene alte Teufel hatte sich einen Geflügelten in Reserve gehalten, nur für den Fall.
Und was war mit ›dem Ferenc‹, als der er es vorzog, bekannt zu sein? Konnte es sein, dass er ebenfalls hier weilte? Fess Ferenc, genau: ein Mann oder Monstrum, vor dem man besser auf der Hut war. Der Ferenc maß zwei Meter vierundfünfzig. Gegen ihn hätten selbst die gewaltigen Bären, die Shaithis um ihres Fleisches willen getötet hatte, wie Zwerge gewirkt. Als Einziger aller Wamphyri trug er keinen Kampfhandschuh: Dazu bestand keine Notwendigkeit, denn bereits seine bloßen Hände waren mörderische Klauen. Nun, die Dinge mochten sich doch noch ganz interessant entwickeln in dieser furchtbaren Ödnis ...
Shaithis setzte sich in Volses Sattel, kaute auf einem Stück Bärenherzen herum und rief seinen Geflügelten herbei: Komm, friss.
Seine Kreatur kam herbei und ließ sich auf dem Eis nieder; Shaithis stieg zu ihr hinab, umrundete den Körper der toten Bestie – und entdeckte auf diese Weise ein großes Loch, das in ihre Flanke gefressen war. Blutgefäße so dick wie sein Daumen waren aufgeschlitzt und leergesaugt und dann wieder verknotet worden. Woraus er wohl sehr richtig schloss, dass Volse Pinescu seinen niedergestreckten Koloss überlebt hatte. Was zu der Frage führte: Wo war Volse nun?
Shaithis dehnte seine vampirische Wahrnehmung aus, brachte eine eifrig voranschwirrende telepathische Sonde auf den Weg. Nicht, um irgendjemanden anzusprechen, sondern um nach jemandem zu lauschen. Er hörte nichts. Oder doch ...? Das Echo eines Geistes ... oder mehrerer Geister, die sich allesamt hastig verschlossen und tarnten? Wenn Volse und Fess hier waren, so sprachen sie nicht. Abermals lächelte Shaithis sein sardonisches Lächeln. Niemand applaudierte einem Verlierer. Alles wäre anders gekommen, hätte er die Schlacht um den Garten gewonnen. Doch natürlich stimmte dies so auch wieder nicht; denn hätte er gewonnen, wäre er nicht hier.
Während seine Flug-Kreatur nun schmauste, fasste Shaithis die Feste aus Eis ins Auge. Das kalt glitzernde Gebilde war größtenteils ein Werk der Natur. Die roh ins Eis gehauenen Stufen hatten sich im Laufe der Zeit gerundet, doch irgendwann einmal waren sie geschlagen worden. Sie führten empor zu einem überwölbten Durchlass unter einer Fassade wuchtiger Eisspeere. Der Kern bestand aus Felsgestein, dunkel und wenig einladend.
Shaithis erstieg die Stufen, betrat die Eisburg und war sich, während er die ersten Schritte in das verwirrende, spiegelnde Labyrinth hinein zuerst eilends, dann jedoch immer bedächtiger tat, des knirschenden Raureifs unter seinen Füßen nur allzu bewusst. Und wie er vorankam, spürte er, dass es hier drinnen etwas Entsetzliches gab oder dass etwas Entsetzliches geschehen war, und zum ersten Mal seit dem Herrn des Gartens empfand er Furcht vor dem Unbekannten.
Dieser Ort hallte und stöhnte. Die Echos waren im Großen und Ganzen natürlich von ihm selbst verursacht, doch die Gewölbe und Nischen und Korridorwindungen der Eisburg veränderten sie in ein dumpfes Mahlen und Knirschen und Schleifen, als krachten Treibeisschollen in schwerem Seegang gegeneinander oder als fielen schwere Eistore dröhnend ins Schloss. Das Stöhnen musste vom eisig kalten Wind herrühren, der in den Spitzen dieses Ortes wütete, durch Tonnen und Abertonnen von Eis verstärkt und verzerrt zum Todeskreischen sterbender Ungeheuer.
»Wie sollte ein Mensch, selbst ein Vampir, hier drinnen leben können?«, sprach Shaithis wispernd zu sich selbst, sei es auch nur, um zumindest die Gesellschaft der eigenen Stimme zu haben. »Oder vermag er sich allmählich daran zu gewöhnen? Für eine Weile? Möglicherweise für eine Zeitspanne von hundert Sonnaufs? – Obgleich hier natürlich immer Sonnunter ist ... Nein, nein, schlussendlich wird die Kälte ihn kriegen. Ja, und ich kann sehen, wie es vonstatten gehen wird.
Die schmerzende Eiseskälte kriecht ihm in die Knochen, ganz langsam, bis allmählich selbst das Wamphyri-Fleisch gefriert. Sein Herz schlägt langsamer; pumpt mit Eiskristallen verdicktes Blut durch bebende Venen und Arterien. Langsamer. Immer langsamer. Bis sein
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