TODESSAAT
ganzer Leib steif wird, er sich nicht mehr zu rühren vermag. Das Eis wächst weiter, über ihn hinweg, zuerst nur in einer dünnen Schicht, doch sie wird dicker und dicker und schließlich so widerstandsfähig wie Stein, und so sitzt er irgendwann in diesem durchscheinenden Stalaktiten auf einem Thron aus Eis und denkt in den eisigen Tiefen seines Gehirns langsame, tiefgefrorene Gedanken.
Als Wamphyri – sofern er ein Wamphyri ist! – wird er nicht sterben. Zumindest nicht, solange das Eis sich nicht verlagert und ihn zerfetzt oder zermalmt. Doch was wäre dies für ein Leben? Meine Vorfahren richteten ihre Feinde auf dreierlei Arten: Jene, die sie verachteten, begruben sie untot, auf dass sie in ihren Gräbern versteinerten. Jene, die Übles gegen sie im Schilde führten, verbannten sie in die Eislande. Und jene, die sie fürchteten, wurden ins Sphärentor auf Starside getrieben. Wer vermag zu sagen, welche Strafe die schlimmste ist? Die Hölle selbst aufsuchen zu müssen, zu Eis zu werden oder so starr und steif wie ein Stein? Ich für meinen Teil würde mir nicht wünschen, ein Eisblock zu sein!«
All diese Gedanken, laut ausgestoßen, wurden als Geflüster davongerissen und verstärkt in einem Aufruhr aus vielerlei Geräuschen zu ihm zurückgeschleudert. An der hohen, gewölbten Decke begannen Eiszapfen zu klirren – dann zerbarsten sie in tausend Scherben und kamen in einem flirrenden Geschossregen herab. Einige waren sehr, sehr groß, sodass Shaithis beiseite schnellen musste.
Also fasste er, kaum dass sich der Aufruhr ein wenig gelegt hatte, den Entschluss, diesem Ort den Rücken zu kehren – genau in diesem Sekundenbruchteil erklang in seinem telepathischen Verstand eine ferne, schwache, zittrige Stimme: Seid Ihr das, Shaitan, seid Ihr nach dieser langen Zeit gekommen, mich zu finden und zu vernichten? Dann solltet Ihr wissen, dass ich das willkommen heiße! Hier bin ich, hier oben. Kommt, bringt es hinter Euch. Die eisigen Jahrhunderte haben selbst meine einst so wilden Wamphyri-Leidenschaften erkalten lassen. So kommt, eilt und löscht die nur mehr schwach züngelnde Flamme aus!
ZWEITES KAPITEL
Verblüfft nahm Shaithis eine geduckte Haltung an, drehte sich lauernd im Kreis und starrte umher. Er sah nur Eis und wusste nun doch mit Sicherheit, dass dieser Ort mehr als nur Eis umfasste. Schließlich, die karmesinroten Augen zu Schlitzen zusammengezogen, konzentrierte er die eigenen Gedanken und fragte: Wer spricht?
Was?, erhob sich die schwache, zittrige Stimme erneut in seinem Verstand, und Shaithis spürte ein höhnisches Schnauben. Bringt mich nicht zum Lachen, Shaitan! Ihr wisst sehr wohl, wer spricht! Oder haben Euch die langen, einsamen Jahre um den Verstand gebracht? Kehrl Lugoz spricht, alter Satan. Gemeinsam wurden wir in die Verbannung geschickt; gemeinsam behausten wir für eine Weile die Höhlen des Vulkankegels; wir waren Gefährten – solange wir Fleisch hatten. Doch so, wie dieses Fleisch zur Neige ging, ging auch unsere Freundschaft dahin. Und ich bin geflohen, solange ich dies noch konnte.
Kehrl Lugoz? Shaithis runzelte die Stirn, als er sich der Wamphyri-Legenden zu erinnern suchte, die beinahe so alt waren wie das Geschlecht selbst. Und dieser Shaitan, auf den der verborgene Sprecher hinwies: Doch gewiss nicht der Shaitan? Abermals runzelte er die Stirn, und als sich sein Verdacht in Wissbegierde wandelte, fragte er: Wo seid Ihr?
Wo ich seit ... Ewigkeiten bin – ich weiß nicht mehr, wie lange. Untot konserviert im Eis, das bin ich und dort bin ich. Träumend existiere ich in meiner frostigen Hölle aus endloser Zeit. Und Ihr, Shaitan? Wie war’s für Euch? Hat der Berg Euch warm gehalten, oder sind seine Feuer wieder erstarkt, um Euch zu vertreiben?
Träumend in einer frostigen Hölle? Exakt dieses grässliche Szenario hatte Shaithis erst vor wenigen Momenten heraufbeschworen! Ja, und er glaubte, dass, wer immer dieser Kehrl Lugoz auch sein mochte, der hier mit ihm in Kontakt geraten war, tatsächlich aus einem Traum heraus zu ihm sprach. Vielleicht hatten die herabkrachenden gewaltigen Eiszapfen ihn aus seinem ewigen Dämmer gerissen.
Ihr täuscht Euch, widersprach er nun und entspannte sich ein wenig, denn ich bin nicht Shaitan. Ein Sohn seiner Söhne – möglicherweise, doch mein Name ist Shaithis, nicht Shaitan.
Oh? Ha! Der andere schien seine Worte schmerzlich amüsant zu finden. Herr der Lügner noch im Angesicht des Endes, was, Shaitan? Verderbt wie eh und je.
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