Todessaat
Sie vorsichtig.«
Ein Schaudern lief Grace über Nacken und Rücken. Wartend ging sie auf und ab.
Die Tür wurde aufgestoßen, und zwei Studentinnen kamen heraus. Sie trugen kurze Röcke und schwarze Strumpfhosen, die Hände hatten sie in die Taschen ihrer Fleecejacken gesteckt.
Grace stürmte die Treppe hoch und erwischte den Türknauf gerade noch, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel. Im Haus hallten in den Fluren Duschgeräusche, Musik und das Lachen der Studenten wider. Irgendjemand spielte Schlagzeug. Sie lief den ersten Stock entlang, bevor sie die verschnörkelte Treppe zum zweiten Stock nahm. Ein Mädchen, das sich die Haare abtrocknete, blieb im Flur stehen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Grace musterte den Flur und suchte nach einer spontan errichteten Gedenkstätte, fand jedoch keine.
»Ist Tammys Zimmer oben?«
Die Augen des Mädchens füllten sich mit Tränen. Sie nickte, blickte dann auf ihre Flipflops und flüchtete. Grace stieg die Stufen zum dritten Stock hinauf. Fünf Türen neben dem Badezimmer fand sie es schließlich.
Die Tür war verschlossen. Neben der Tür gab es eine Pinnwand, an der Trauerbekundungen hingen. Ein Kranz aus Pappmache mit einem Foto von Tammy in der Mitte schmückte die Wand. Sie lachte, hatte den Kopf zurückgeworfen und die Augen geschlossen. Sie sah gar nicht nach dem verletzlichen Mädchen mit den Kopfhörern aus, das in Jeannes Tätowierstuhl döste.
Grace klopfte an der Tür. Niemand antwortete. Sie drückte das Ohr an die Tür. Es war nichts zu hören.
»Sie ist nicht da.«
Grace wandte sich um.
Eine asiatische Studentin stand vor ihr. Sie war dünn bis zur Magersucht, trug einen gestrickten Minirock mit Strumpfhosen und Ballerinas. An die Brust hatte sie Bücher gedrückt. Ihre Brille war schmutzig, und die Augen waren geschwollen. Um den Hals trug sie eine dünne Goldkette.
Sie war aus einem gegenüberliegenden Zimmer in den Flur gekommen. Die Pinnwand an diesem Zimmer enthielt lediglich die Ankündigung eines Gedenkgottesdienstes für Tammy, der am Tag vor den Thanksgivingferien stattfinden würde. Die Handschrift darauf war klein und sehr präzise.
»Wer ist nicht da?«
Die Studentin biss sich auf die Lippe. »Falls Sie nach Tammys Zimmergenossin suchen, die ist vor einigen Stunden abgereist. Sie hatte genug von den Journalisten. Ihre Professoren haben ihr Sonderurlaub wegen des Todesfalls gegeben. Sie holt die Prüfungen nach Thanksgiving nach.«
Grace nickte und wartete.
»Falls Sie also von der Presse sind - keiner von uns wird reden.« Sie räusperte sich und warf einen Blick auf Tammys Foto an der gegenüberliegenden Wand, als könne sie es noch immer nicht glauben.
Grace schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Ich bin nicht von der Presse. Ich bin vom FBI.«
Die Studentin zuckte mit den dünnen Schultern. »Ich habe nichts zu sagen.«
»Haben Sie nichts zu sagen, oder sind Sie zu traurig und verängstigt oder schockiert, um etwas zu sagen?«
Das Gesicht der jungen Frau verzerrte sich. Sie beugte den Kopf in ihre Bücher und flüchtete. »Ich bin spät dran. Ich kann nicht. Ich werde nichts sagen.« Das Letzte stieß sie wie einen Schrei hervor.
Grace holte sie auf halbem Weg im Flur ein. »Kann ich Ihnen was Warmes zu essen kaufen?«
»Wer sind Sie?«, fragte sie erschöpft und auch resigniert.
Grace zog ihren Ausweis hervor. »Ich bin Grace. Und Sie sind Elaine Choo.«
Elaine zog eine Augenbraue hoch. Sie blinzelte. »Woher kennen Sie meinen Namen?«
38
I ch hätte es wissen müssen.« Elaine Choo wischte sich die Finger an der Papierserviette ab und hinterließ rote Ketchupflecken. »Wir haben uns immer gegenseitig Nachrichten an die Pinnwand gehängt. Nachdem sie gestorben war, habe ich damit weitergemacht. Ich habe ihr jedes Mal einen Zettel geschrieben, wenn ich das Zimmer verließ. So habe ich mich irgendwie weniger allein gefühlt.«
Elaine blinzelte hinter den Brillengläsern und rückte sich die Brille zurecht. Dann nahm sie sich eine Pommes, tauchte sie in den Ketchup und biss die Spitze ab.
»Die Handschrift, mit der der Gedenkgottesdienst an deiner Pinnwand angekündigt wurde, war identisch mit der auf den Zetteln von Elaine Choo an Tammys Tür. Es war ziemlich leicht herauszufinden, dass du es bist, als du aus deinem Zimmer kamst. Wie gut hast du Tammy gekannt?«
»Wir waren beste Freundinnen, seit wir uns in Professor Bartholomews Vorlesung getroffen haben.« Elaine legte die halbe Pommes zurück auf den Teller.
»Wann
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