Todesschach
stellten sich in einer Reihe auf. Sie mußten ihre Ausrüstungsgegenstände mitnehmen, denn sie würden nicht in die Rakete zurückkehren. Dann marschierten sie durch den Korridor und gelangten endlich durch die geöffnete Schleuse ins Freie. Viel Zeit blieb ihnen nicht, einen ersten Blick auf die Oberfläche des Jupitermondes zu werfen.
Io war im Jahr 1610 von Galilei entdeckt worden. Er umlief Jupiter in der kurzen Zeit von nur 1,77 Tagen und hatte einen Durchmesser von 3320 Kilometern, war somit fast so groß wie der irdische Mond. Seine Entfernung zum Jupiter betrug 422000 Kilometer.
Schon immer hatten die Astronomen vermutet, Io könne eine Atmosphäre besitzen, und in der Tat erwies sich diese Vermutung als richtig. Allerdings war diese Atmosphäre recht dünn und für die menschliche Lunge ungeeignet, aber die Anziehungskraft des Mondes war groß genug, eine künstliche Bereicherung der Lufthülle zu gestatten. Im Verlauf mehrerer Jahre konnte Io bewohnbar gemacht werden.
Obwohl die kleine Sonne schien, blieb der Himmel dunkel, und die Sterne waren sichtbar. Jupiter stand als gewaltige Scheibe dicht über dem Horizont und spendete genügend Licht, um Einzelheiten der Oberfläche los erkennen zu lassen. Es gab eine spärliche Vegetation, die von Menschenhand angelegt worden war. Mira konnte vertrocknete Büsche und einen Krüppelwald erkennen. Die flachen Hügel und Kraterwälle waren mit kurzem Gras bedeckt. Im Licht greller Scheinwerfer erkannte sie Wachttürme und eingezäunte Ansammlungen primitiver Fertighäuser.
»Beeilt euch, ihr bekommt noch genug von Io zu sehen!«
Sie wurden die Leiter hinabgetrieben und mußten sich an ihrem Fuß erneut aufstellen. Das Wachkommando der Strafkolonie kam, um die neuen Gefangenen zu übernehmen. Abermals wurden die Namen verlesen, und jeder mußte einzeln vortreten. Mira bemerkte die interessierten Blicke der Uniformierten und sah sich nach Aleks um. Er nickte ihr beruhigend zu.
»Dreckskerle!« flüsterte eine der Frauen verächtlich.
»Mund halten!« brüllte einer der Wärter und fuchtelte mit einem Elektroschocker herum. »Wer nicht pariert, bekommt eine kleine Lektion. Ihr seid auf Io, merkt euch das!«
Da begann Mira zu ahnen, daß Aleks doch nicht in allen Dingen recht hatte.
Die Übergabe erfolgte unter zweideutigen Bemerkungen, die zwischen Begleitkommando und Stammpersonal gewechselt wurden. Dann mußten sich die Sträflinge, nach Geschlechtern getrennt, zum Abmarsch aufstellen.
Mira stellte fest, daß die Luft gut war. Der Marsch bereitete ihr wegen der geringen Schwerkraft keine Schwierigkeiten, obwohl sie sich matt fühlte. Das erleuchtete Lager war ihr Ziel.
Wieder Kontrollen und Andeutungen. Dann passierten sie das Lagertor und machten vor der Administration halt. Einige Bewohner des Lagers, die sich neugierig näherten, wurden durch Elektroschüsse vertrieben. Ein höherer Offizier kam aus dem flachgebauten Haus und nahm die Meldung des Kommandoführers entgegen. Er hörte ihm zu, ließ aber dabei die fünfzig Frauen nicht aus den Augen. Er musterte sie mit dem sicheren Blick eines Mannes, der um seinen Erfolg nicht zu bangen brauchte. Er würde jede von ihnen haben können, wenn er wollte. Er war der Kommandant der Verteilerstelle. Wen er bevorzugte, würde es besser haben.
Einige der Frauen gaben seinen musternden Blick ermunternd zurück, und Mira konnte bemerken, daß der Offizier dann schnell weitersuchte. Solche Frauen kamen für ihn nicht in Frage.
Als er sie anblickte, lächelte sie aufreizend, so wie sie es einmal in einem Film gesehen hatte. Aber sie hatte sich geirrt. Der Offizier übersah sie nicht.
Er blickte sie lange an, und dann lächelte er zurück.
Mira spürte ihre Knie weich werden. Sie hatte sich verkalkuliert.
Sein Blick suchte weiter, aber immer wieder kehrte er zu Mira zurück. Sie fror, was nicht allein auf die kühle Temperatur zurückzuführen war. Neben ihr flüsterte eine Frau:
»Hoffentlich ist der bald fertig. Saukälte!«
Das Begleitkommando rückte ab. Der Lagerkommandant wandte sich an die neuen Sträflinge. Er hatte eine klare Stimme. Und er machte es kurz.
»Willkommen auf Io. Sie werden bald feststellen, daß es hier auszuhalten ist, wenn Sie die Regeln beachten. Dies ist ein Auffang- und Verteilerlager. Sie bleiben nicht lange hier. Morgen erhalten Sie Formulare und Antragsbogen, dazu einen Plan der verschiedenen Arbeitsstätten auf Io. Es liegt an Ihnen, sich Ihren künftigen Wohnort auszusuchen,
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