Todesschach
falls Sie die notwendigen Qualifikationen besitzen. Sie werden die kommende Nacht in der Quarantänestation verbringen, morgen werden Ihnen Quartiere zugeteilt. Außerdem stehe ich morgen zu persönlichen Beratungen zur Verfügung.« Er überflog die vor ihm Stehenden mit einem letzten Blick und nickte einem Sergeanten zu. »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«
Er sah noch einmal in Miras Richtung, dann drehte er sich um und verschwand in der Administration.
Der Sergeant, der sie zur Quarantänestation brachte, war ein älterer Mann, der keinen bösartigen Eindruck machte. Zwar trug auch er das typische Kennzeichen der Bewacher, den Elektroschocker, aber er schien nicht die Absicht zu haben, ihn einzusetzen.
Mira ging neben Aleks.
»Der Kommandant – er sah mich so komisch an. Ich fürchtete schon …«
»Ein Mann, der sich alle Wünsche erfüllen kann, wird verwöhnter, Mira. Er nimmt sich nichts mit Gewalt, sondern er wartet, bis es von selbst zu ihm kommt. Überhaupt scheint es hier im Lager doch eine Spur von Gesetz und Ordnung zu geben.«
»Das beruhigt mich«, gab Mira zu. »Warten wir aber, was der morgige Tag bringt. Vielleicht bleiben wir doch zusammen.«
In der ersten Nacht jedenfalls blieben sie es nicht. Männer und Frauen wurden in zwei Wohnhäusern getrennt untergebracht. Zwar standen keine Wachen vor den Eingängen, aber im Lager patrouillierten Posten. Der Sergeant, der sie an ihren Bestimmungsort brachte, erklärte kurz die Lage der Schlafräume und sanitären Anlagen, dann wünschte er eine angenehme Nacht und verschwand.
Mira legte ihre Sachen auf das ihr zugewiesene Bett und setzte sich. Sie fühlte sich ohne Aleks allein und verlassen, obwohl sie sich über ihre Mitgefangenen nicht beklagen konnte. Mehrere von ihnen waren verurteilt worden, weil sie der Grödig-Organisation angehört hatten, aber Mira hatte noch keine von ihnen vorher gesehen. Das war nicht ungewöhnlich, denn der Kontakt zwischen den Verschwörern war locker und fand nur unter größter Geheimhaltung statt. Nur so konnte Verrat weitgehend ausgeschaltet werden. Daß es ihn trotzdem gab, hatte Mira am eigenen Leibe erfahren müssen. Sie hatte sich vorgenommen, den Namen Derek Fall niemals zu vergessen.
An diesem ersten Abend schlief sie erst spät ein, obwohl der Tag anstrengend genug gewesen war.
Als der Morgen graute, heulte eine Sirene – das Zeichen zum Aufstehen. Waschen, Anziehen, Frühstück. Dann brachte jemand die angekündigten Formulare. Mira wußte, daß viel davon abhing, welche Antworten sie auf die vielen Fragen gab, die vorgedruckt waren. Natürlich hatte das Transportkommando schriftliche Unterlagen über die Sträflinge mitgebracht, die nochmalige Überprüfung schien somit sinnlos, aber vielleicht wurde auf Io nach anderen Grundsätzen geurteilt.
Wahrheitsgemäß füllte Mira das Formular aus, bis sie zum Schluß den wahrscheinlich entscheidenden Hinweis fand.
»Welcher Beschäftigung wären Sie nachgegangen, wenn Sie auf der Erde eine zweite Wahl gehabt hätten?«
Mira zögerte keine Sekunde, als sie eintrug:
»Physikstudium.«
Mit einem bangen Gefühl gab sie den Fragebogen ab und hoffte, daß Aleks seinen ursprünglichen Beruf angegeben hatte. Dann bestand die Möglichkeit, daß man sie nicht trennte.
Während des Vormittags wurden mehrere der Frauen aufgerufen und gebeten, mit ihrem Gepäck das Haus zu verlassen. Da Mira ein gutes Gedächtnis besaß und sich die Berufe und Ambitionen einiger Frauen gemerkt hatte, stellte sie bald ein gewisses System in der Auswahl fest. Die Frauen, die einen handwerklichen Beruf angegeben hatten, wurden zuerst geholt. Sie wurden wahrscheinlich am dringendsten benötigt.
Ihr Herz klopfte, als ihr Name verlesen wurde. Jetzt entschied es sich, ob ihre Spekulation stimmte, oder ob sie sich geirrt hatte. Zwei andere Frauen kamen mit ihr – eine Computerspezialistin und eine Chemiestudentin.
Mira sah hinüber zu dem Haus, in dem die Männer schliefen. Sie erkannte drei Personen, die davor warteten. Einer von ihnen war Aleks.
Die Erleichterung hätte sie fast umgeworfen, aber ohne ihr Schrittempo zu verändern, ging sie weiter, auf das Haus des Lagerkommandanten zu. Sie sah, daß die drei Männer ihr und den beiden Frauen folgten.
Ein anderer Sergeant als gestern erwartete sie. Innerhalb des Lagers schien die Bewachung nicht so streng zu sein. Vielleicht war überhaupt alles nicht ganz so schlimm, wie man es sich allgemein vorstellte. Objektiv betrachtet,
Weitere Kostenlose Bücher