Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
heruntergedrückt wurde. Keiner sagte etwas oder rührte sich. Es war, als seien sie Schauspieler in einem Film, der auf Pause stand. Erst, als sie hörten, wie sich die Schritte entfernten und die Tür am Ende des Ganges aufgemacht und dann wieder geschlossen wurde, schnappten sie nach Luft.
»Wer war das?«, fragte Arna und starrte auf die Tür, als rechne sie damit, dass sie jeden Moment aufgebrochen würde. Ægir ging es genauso. Obwohl der Gang jetzt leer sein musste, war das vielleicht nur ein weiteres Versteckspiel. Und wer war das gewesen? Halli wusste genau, in welcher Kabine Ægir und Lára und in welcher die Mädchen geschlafen hatten. Warum hatte er alle Türen der Reihe nach probiert? War es vielleicht doch nicht Halli? Je länger Ægir über diese Möglichkeit nachdachte, desto größer wurden seine Zweifel. Halli musste doch wissen, dass es einen Generalschlüssel gab und wo der aufbewahrt wurde. Oder gab es an Bord keinen? Vielleicht war es doch nur Halli, der nun ging, um die Axt auf der Brücke zu holen und die Tür einzureißen. Oder jemand ganz anderes.
»Wer war das, Papa? Der böse Mann, von dem Halli geredet hat?« Arna wollte ihrem Vater die Antwort nicht ersparen.
»Das war bestimmt nur Halli. Er ist genauso müde wie ich und hat vergessen, in welcher Kabine er schläft.«
Eigentlich wollte Ægir den Mädchen gar nicht das sagen, was sie hören wollten, sondern das, was sie wissen mussten. Wenn sie die Sache durchstehen wollten, mussten sie sich der Gefahr an Bord bewusst sein. Undenkbar, dass sie zu Halli liefen, wenn sie ihn sahen. Wenn er eines der Mädchen in seine Gewalt bekäme, würde Ægir zusammenbrechen, und das wäre ihr Ende.
»Das war nicht Halli«, sagte Bylgja. Sie hatte die Arme um ihren schmalen Oberkörper geschlungen, wie um sich warm zu halten, obwohl es nicht kalt in der Kabine war. »Das war ganz bestimmt nicht Halli.«
»Woher weißt du das?«, fragte Arna, unentschlossen, ob sie wollte, dass ihre Schwester recht hätte.
»Er war es einfach nicht.« Bylgja rutschte zum Bettkopf. »Warum gehen wir nicht einfach rauf und reden mit ihnen, Papa? Vielleicht können uns Halli und Þráinn helfen, den Bösen zu fangen.«
»Nicht jetzt. Wir gehen später raus.«
Dabei blieb es, obwohl die Zwillinge enttäuscht waren. Ægir war es im Grunde auch, doch was sollte er tun? Solange er nicht wusste, wer durch das Schiff geisterte und ob dieser Jemand noch herumlief, konnte er nicht viel tun. Noch traute er sich nicht, dieser Tatsache ins Auge zu schauen oder etwas zu unternehmen. Da blieb er lieber sitzen und hoffte das Beste. Manchmal reichte das. Aber ihm fielen einfach keine Beispiele dafür ein.
Wieder hatte Ægir die Müdigkeit übermannt. Er schreckte von einem traumlosen Schlaf hoch und war froh, nicht vom Stuhl gefallen zu sein. Etwas hatte sich verändert, und in seiner Panik, wieder eingenickt zu sein, dachte er zuerst, jemand wäre hereingekommen. Doch so war es nicht. Die langersehnte Stille hatte ihn geweckt. Bisher war immer alles von Motorenlärm unterlegt gewesen, doch nun war er verstummt. Die Yacht fuhr nicht mehr.
»Wann haben wir angehalten? Wie lange ist das her?«, fragte Ægir die Mädchen und versuchte, nicht verzweifelt zu klingen.
»Eben erst.« Arna, die auf dem Bauch gelegen hatte, drehte sich um und klappte das Malbuch zu. »Wir wollten dich nicht wecken, weil du so müde warst.«
»Wie lange habe ich geschlafen? Haben wir angehalten, kurz nachdem ich eingeschlafen bin oder gerade erst?«
Die Mädchen tauschten einen ratlosen Blick. Draußen war es immer noch stockdunkel. Falls Ægir nicht vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte, war es immer noch dieselbe Nacht.
»Hat noch mal jemand versucht reinzukommen?«
»Nein, niemand«, antwortete Bylgja und legte ebenfalls ihr Malbuch beiseite.
Ægir stand auf und ging zur Tür. Im Gang war alles still. Vielleicht war das die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Es war zwar eigentlich unnötig, die Fahrt zu stoppen, wenn man sich hinlegte, aber vielleicht wies das darauf hin, dass Halli – oder wer auch immer – sich jetzt ausruhte. Gut möglich, dass er an der Tür gelauscht hatte, so wie Ægir jetzt, und gehört hatte, dass Ægir schlief. Es für ungefährlich gehalten hatte, sich solange hinzulegen.
»Habe ich geschnarcht, Mädchen?«
Sie nickten, und Ægir zögerte und dachte nach. Wenn er es auf die Brücke schaffte, um eine Signalrakete und die Axt zu holen oder einfach nur
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