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Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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ihr übers Haar, aber die zerzausten Strähnen stellten sich immer wieder auf. »Vielleicht fahren wir mit einem Rettungsboot nach Hause. Was hältst du davon?«
    »Ist mir egal. Ich will nur nach Hause«, erwiderte sie und schob seine Hand weg. »Dann müssen wir nicht länger tapfer sein.«
    »Das stimmt.«
    Ægir verstummte, denn er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Es wäre am einfachsten, sie anzulügen und ihr zu sagen, dass sie nichts zu befürchten hätten, dass sie bald wieder in ihrem Haus wären, wo niemand mehr tapfer sein müsste. Aber das stimmte nicht, es war unklar, wann sie in Reykjavík ankämen, und keineswegs sicher, dass die Heimkehr schön wäre, jetzt, da Lára tot war.
    »Ihr habt ganz toll durchgehalten, Arna. Viel besser, als ich je gedacht hätte. Aber das ist hoffentlich bald vorbei.«
    »Hm.« Arna legte sich wieder hin und starrte auf ihre schlafende Schwester. »Was Sigga Dögg wohl macht?«
    »Die schläft bestimmt gerade«, sagte Ægir leise. Es war so schmerzhaft, an seine jüngste Tochter zu denken. Sie würde jetzt ohne Mutter aufwachsen, und Ægir war sich nicht sicher, ob er in der Lage wäre, Láras Rolle zu übernehmen. Er konnte nicht gut trösten, nicht die Haare frisieren, Kleidung oder Geschenke auswählen oder bei den Hausaufgaben helfen. Und er war ein unmöglicher Koch. Er arbeitete zu viel, was sich nicht ändern ließ – wenn er sich weniger engagierte, wäre er bald arbeitslos. Wobei Geld nicht das Problem war. Vielleicht wäre es sogar die beste Lösung, zu kündigen und sich um die Kindererziehung zu kümmern, seinen Töchtern ein guter Vater zu sein. Aber wie lange würde es dauern, bis sich die Leute fragten, wie er sich und seine Familie finanzierte? Ein Jahr? Zwei Jahre? Zehn Jahre? Im Grunde spielte es keine Rolle, aber es würde dazu kommen. Und dann hätte er keine Antwort. Da fiel ihm Láras Lebensversicherung ein, und sein Mund wurde schal. Die würde das Problem lösen. Aber wie würde es sich anfühlen, eine solch riesige Summe auf dem Bankkonto zu sehen? Ægir hatte lange von so viel Geld geträumt, wäre aber nie auf die Idee gekommen, es auf diese Weise zu bekommen. Opfergeld.
    »Sigga Dögg weiß nicht, dass Mama tot ist«, sagte Arna und schloss die Augen. »Die hat’s gut.«
    »Sie wird es erfahren, mein Schatz, sobald wir sie wiedersehen. Aber ich weiß nicht, ob sie es versteht. Sie ist noch so klein.«
    »Sie hat’s trotzdem gut. Ich wünschte, ich wüsste es nicht.«
    »Ich auch.«
    Am liebsten hätte er mit dieser Selbsttäuschung gelebt, wenn auch nur für ein paar Tage oder bis sie den Hafen erreichten. Es war unerträglich schwer, sowohl mit der Trauer als auch mit der Ungewissheit klarzukommen. Ægir hatte das Gefühl, dass die Chancen auf einen glücklichen Ausgang viel größer wären, wenn er nur mit der Ungewissheit zu kämpfen hätte. Doch tief im Inneren wusste er, dass das nicht stimmte.
    »Können wir an Deck gehen und schauen, ob wir Island sehen?«, fragte Arna.
    »Nein«, antwortete er barsch. Er wollte nicht, dass sie mitbekam, dass noch mehr schlimme Dinge passiert waren. »Es ist zu dunkel, man kann nichts sehen.«
    »Doch, vielleicht die Lichter. Man sieht die Lichter aus dem Weltraum.«
    »Nur bei Großstädten. Reykjavík sieht man ganz bestimmt nicht vom Weltraum aus und auch nicht vom Meer.« Er hatte nicht die Energie, ihr den Einfluss der Krümmung der Erde auf die Sichtweite zu erklären. »Du würdest nur endloses schwarzes Wasser sehen.«
    »Vielleicht hat der Kapitän ein Fernglas, das im Dunkeln funktioniert. Wir können zu ihm gehen. Ich glaube, er ist nett.«
    »Ja, das ist er bestimmt, aber er hat kein solches Fernglas, das haben nur Soldaten und Militär. Die sind furchtbar teuer, und Seeleute brauchen im Dunkeln nichts zu sehen, sie haben Radar und alle möglichen Geräte, die für sie sehen«, erklärte Ægir. Es war angenehmer, über Ferngläser als über den toten Kapitän zu sprechen. Der Gedanke daran, wie seine Leiche fortgetrieben war, war widerwärtig, und irgendwo in seinem Kopf flüsterte ihm eine Stimme zu, dass er noch gar nicht tot gewesen war, als man ihn über Bord geworfen hatte. Die Stimme wurde immer lauter, obwohl Ægir das eigentlich für ausgeschlossen hielt, denn dann hätte Þráinn doch versucht, das Gesicht nach oben zu drehen. Und selbst, wenn er in unmittelbarer Nähe des Schiffes ertrunken war, na und? Þráinn hatte Lára die Pistole gegeben, und das würde Ægir ihm nie

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