Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Punkte, die Hannes als Vater falsch machen konnte, auf einen Zettel schreiben würde, wäre sie niemals auf so etwas gekommen. Eine Bohrinsel! Sie seufzte laut und legte den Hörer wieder auf. Das Telefonat würde übel ausgehen, und sie würde ihre Frage nach möglichen ansteckenden Krankheiten nie stellen. Wobei das vielleicht auch gar nichts brachte. Es beantwortete nämlich nicht die Frage, warum die Leute von Bord verschwunden waren. Keine Krankheit löste das Verlangen aus, sich ins Meer zu stürzen.
Dóra ging wieder auf die Nachrichtenseite. Ein neuer Artikel über den Leichenfund stand im Netz.
Es war an der Zeit, dass Brynjar den Job wechselte, das wusste er selbst am allerbesten. Die Nachtwachen fielen ihm immer noch genauso schwer wie vor fünf Jahren, als er als Hafenwärter angefangen und gedacht hatte, er würde sich daran gewöhnen. Wobei er nie geplant hatte, in diesem Job zu bleiben, er wollte lediglich die Zeit nach dem Abbruch seines Studiums überbrücken, ein bisschen Geld verdienen und sich dann für ein Fach einschreiben, das ihm lag. Die Nächte wollte er dafür nutzen, über seine Zukunft nachzudenken, aber jetzt, ungefähr tausend Nachtschichten später, war er immer noch zu keinem Ergebnis gekommen. Außer, dass er hier nicht länger arbeiten wollte. Es war, als hätte der Unfall, als die Yacht gegen die Landungsbrücke geprallt war, ihm die Augen geöffnet. Die Leute, die auf dem Schiff gewesen waren, hatten bestimmt auch gedacht, sie hätten noch ihr ganzes Leben vor sich, aber das hatte sich als falsch herausgestellt. Er wollte nicht länger so weiterleben wie jetzt, doch nur er allein konnte etwas daran ändern. Er war sozial isoliert, weil er einen anderen Lebensrhythmus hatte als seine Freunde, und wenn er an seiner Situation nichts änderte, wäre er am Ende ein einsamer, merkwürdiger Kauz, den niemand mehr zu Gesicht bekäme außer Nachtschwärmern auf Irrwegen.
So wie jetzt.
»Sie dürfen da nicht rumlaufen. Dieser Bereich ist gesperrt!«
Energisch ging er auf das Pärchen zu, das am Kai entlangwankte. Das Mädchen trug hohe Absätze, die für diese Umgebung völlig ungeeignet waren, und lief wie ein Zombie im Kino, zumindest von hinten betrachtet. Ihr Begleiter war auch nicht viel besser, konnte aber die Schuld nicht auf seine Schuhe schieben. Brynjar hoffte, dass es nicht einer von diesen Typen war, die unter Alkoholeinfluss aggressiv wurden. Von denen hatte er echt genug.
Das Mädchen drehte sich um, mit lethargischem Blick und verschmiertem Lippenstift.
»Was?« Dann rief sie zu ihrem Kumpel, der weitergegangen war: »Ellert! Red mit diesem Typen!« Ihre Zunge musste aufgedunsen und pelzig sein.
»Was?« Der Mann wirkte älter als das Mädchen, war wahrscheinlich in Brynjars Alter. Er stand schwankend da und versuchte, die Situation zu begreifen. »Wer bisdu?«
Er verstummte, während er versuchte, das Gleichgewicht zu halten.
»Bisdu nich gut drauf?«
»Doch, total.« Brynjar winkte ihnen weiter zu. »Kommt her, sonst landet ihr noch im Wasser.«
»Im Wasser?« Das Mädchen schien überhaupt nicht zu begreifen, wo sie sich befanden.
»Was meinsdu?«, nuschelte sie. »Wir gehn zu ’ner Party.«
»Hier ist keine Party. Da geht ihr lieber in die Stadt oder nach Hause.«
»Nee, hier is ’ne Party. Hamm wir doch gesehen.« Der Mann war jetzt neben das Mädchen getreten und stützte sich an ihm ab. So wirkten sie stabiler, als wenn jeder alleine stand.
»Ihr habt euch verguckt. Hier sind keine Häuser, nur Boote und Schiffe. Da gibt es keine Party.«
Der Mann grinste dümmlich.
»Klar doch, hamm wir aber gesehen.« Er drehte sich um und zeigte auf etwas. »Das coole Schiff da drüben.«
Brynjar wusste sofort, welches Schiff er meinte – das Pärchen zählte die Fischerboote und Trawler bestimmt nicht zu den coolen Schiffen. Er musste die Yacht meinen, die im Bereich der Küstenwache an einer Landungsbrücke lag.
»Da ist keine Party. Ihr müsst jetzt gehen. Kommt morgen wieder, wenn es euch bessergeht«, sagte er.
»Klar ist da eine Party. Hab ich doch gesehen. Da war ein Gast auf dem Deck.« Das Mädchen klang wie ein trotziges Kind, das sich etwas in den Kopf gesetzt hatte und nicht nachgeben wollte. »Du kannst uns nicht verbieten, zu der Party zu gehen.«
»Ihr habt euch verguckt. Da ist niemand an Bord, und da findet auch keine Party statt. Dieses Schiff ist stillgelegt, es ist beschädigt, und niemand darf dort Partys feiern.«
Brynjar spürte,
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