Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
der Gefahrenzone zu kommen.
Auf einmal kam er nicht mehr weiter. Erst dachte er, er sei von einem Stück Stahl oder einem scharfen Pflock durchbohrt worden, und ruderte wild mit den Armen. Dabei wurde er nach oben getrieben, er atmete hektisch und konnte vor lauter Luftblasen nichts mehr sehen. Als er mit der Sauerstoffflasche gegen den Boden des Containers stieß, wurde er panisch, bekam sich aber wieder in den Griff. Er merkte, dass er die Lampe noch in der Hand hielt und dass der Ruck von der Leine stammte, die sich um seine Taille gewickelt hatte. Mit zitternden Händen nahm er den Scheinwerfer in die linke Hand, stieß sich vom Container ab und tastete mit der rechten Hand nach der Rettungsleine. Sie war straff – entweder wollten die anderen ihn nach oben holen oder er war irgendwo hängen geblieben.
So konnte er jedenfalls nicht weitertauchen. Natürlich hätte er sich von der Leine losmachen können, aber es wäre zu schwierig gewesen, gegen die Strömung zurückzuschwimmen. Wenn die Männer an Deck ihn nicht mehr sahen, trieb er womöglich einfach weg und wurde nie mehr gefunden. Dafür war ihm sein Leben und das seiner Familie zu schade. Ægir pfiff darauf, was die anderen von ihm hielten – sie konnten ja versuchen, es besser zu machen. Er reckte den Hals, um weiter sehen zu können. Der Lichtstrahl richtete in dem trüben Wasser nicht viel aus, dennoch sah er etwas aufleuchten, das er für das Ende des Containers hielt. Er wurde etwas zuversichtlicher. Jetzt konnte keiner etwas an seinen Bemühungen aussetzen. Ægir fasste wieder Mut und wollte versuchen, den Container von unten wegzuschieben. Er schwamm zu der Stelle, die er ungefähr für die Mitte des Containers hielt, und brachte sich in eine Position, aus der er die Beine gegen den Kiel stemmen und die Hände mit aller Kraft gegen den unteren Rand des Containers drücken konnte.
Er klemmte sich die Lampe zwischen die Beine, krümmte sich zusammen und versuchte dann, sich wieder auszustrecken und gegen den Stahl zu stemmen, aber der Container bewegte sich genauso wenig wie vorher. Alle weiteren Versuche brachten nichts, außer zunehmender Verwunderung darüber, wie oft er es schon probiert hatte. Ægir hatte bei der ganzen Aktion Zeit und Raum völlig vergessen. Doch die Wirklichkeit holte ihn mit einem Schlag wieder ein, als er endlich aufgab. Er hatte kein Zeitgefühl mehr und wusste nicht, wie lange er gekämpft hatte und wie viele Minuten er schon unter Wasser war. Die Messanzeige stand bei sechzig, und sein Herz schlug schneller. Wahrscheinlich hatte er zu viel Sauerstoff verbraucht und musste sofort zurück an die Oberfläche. So ruhig wie möglich drehte er sich um und schwamm gegen die Strömung, jetzt froh, den Container über sich zu haben, da er dadurch leichter vorankam. Nur die Lampe machte ihm zu schaffen, weil er beide Arme gebraucht hätte. Deshalb wollte er versuchen, sie so an die Weste zu klemmen, dass sie nach oben leuchtete. Dann würde er noch etwas sehen und könnte sich am Boden des Containers abstützten.
Ægir traute sich nicht, den Container loszulassen, und konnte mit der Lampe in der anderen Hand nicht richtig an der Weste herumtasten. Als er meinte, die Lampe sicher an seinem Körper befestigt zu haben, fiel sie ihm auf einmal aus der Hand. Entsetzen packte ihn, als er sah, wie der Lichtstrahl langsam im trüben Wasser nach unten sank. Da leuchtete plötzlich ein weißer Arm auf, der unter ihm in der Tiefe zu treiben schien. Ægir hatte Blutgeschmack im Mund und wollte am liebsten wegschauen. Aber er konnte es nicht. Für einen kurzen Moment beleuchtete die Lampe den Arm, und dann sah Ægir Teile eines Körpers: der schlanke Brustkorb war in einen dezent gefärbten Stoff gehüllt und erinnerte an eine Qualle. Der Kopf hing schief, so dass Ægir nur die Wange sah. Doch das reichte, um durch das lange Haar, das sich nach oben wellte, als wolle es ihn berühren, in ein starrendes Auge zu blicken.
Dann wurde alles schwarz. Ægir spürte, wie ihm das Blut in Finger und Zehen schoss, und ohne nachzudenken tastete er sich hektisch weiter. Er bewegte sich doppelt so schnell wie vorher, und als er am Ende des Containers angelangt war, merkte er plötzlich, dass er bei seiner Flucht den Atem angehalten hatte. Hektisch sog er an dem Mundstück und spürte den künstlichen Geschmack des Sauerstoffs in seine Lungen strömen. Dennoch fühlte es sich so gut an, dass er sich Zeit ließ, ein paar Mal zu atmen, bevor er langsam
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