Todesschlaf - Thriller
eindeutigere Signale verschicken.«
Murphy nickte. »Entweder zurückziehen oder die Kinder aus der Schusslinie nehmen. Die Kinder machen Sie angreifbar.«
Es war für eine ehemalige Türsteherin nicht einfach, sich eingestehen zu müssen, dass sie nicht in der Lage war, ihre eigenen Kinder zu schützen. Barb kämpfte schweigend gegen das Unausweichliche an. In ihrer Körperhaltung spiegelten sich Aggression und Frustration. Schließlich aber seufzte sie. »Sie haben genug durchgemacht. Ich werde mit dem Reverend sprechen. Er ist immerhin der kräftigste Schwarze im gesamten County. Ich schätze, dass nicht mal die Polizei sich mit ihm anlegen möchte.«
»Wer ist denn der Reverend?«, wollte Murphy wissen.
»Walter Wilson«, sagte Timmie. »Seine Frau, Mattie, ist unsere Kollegin.«
»Und ihm trauen Sie?«
Timmie und Barb lachten einmütig. »Wenn wir Walter nicht mehr trauen können, dann können wir genauso gut alles hinschmeißen.«
»Und jetzt, Mr. Murphy«, sagte Barb, »ist es Zeit zu gehen.«
Grinsend stand Murphy auf. »Aktivieren Sie die Anruferkennung an Ihrem Telefon, Leary. Bevor unser Freund sich das nächste Mal meldet.«
Hinter ihnen flog erneut die Haustür auf, und jetzt endlich war Meghan da. Timmie schloss ihre Tochter fest in die
Arme, und die beiden anderen gingen allein zur Tür hinaus.
Während Cindy am nächsten Abend ganz zu Meghans Entzücken Renfields Anblick mit kreischenden Tönen quittierte, verbrachte Timmie ein ganzes Leben auf der Pflegestation von Restcrest. Sie verabreichte Medikamente und versorgte diejenigen, die künstlich ernährt werden mussten, und reinigte wunde Stellen und verlagerte Körper und reinigte und verlagerte erneut. Sie ertrug den Anblick der leeren Hüllen, die einst aktive Individuen gewesen waren, und lauschte den dissonanten Klängen des GOMER-Chores, dem endlosen Jammern und Schreien, den aneinandergereihten Worten, den Fragen, getragen von hohen, zerbrechlichen Stimmen.
»Schwester! Schwe-e-ester!«
»Was hat er gemacht? Was hat er gemacht? Was hat er gema-a-a-acht?«
»Hilfe! Hilfe, bitte, oh, bitte, oh, bitte, Hilfe! Sie nehmen mich mit … Hi-i-ilfe!«
Alle hatten sie sich gegen sie verschworen, um ihr Gehirn vor Kälte und ihren Humor zu Stein erstarren zu lassen.
Das war nicht einfach eine Versetzung aus der Vertrautheit der Notaufnahme in die Wildnis des Dschungels. Es war eine Übung in Wahrsagerei. Ein unfehlbarer Blick in die Zukunft ihresVaters. Hier würde Timmie ihre Nachmittage verbringen und dabei zusehen, wie ihr Vater immer mehr zu einem Zellhaufen verkümmerte, bis er nur noch zerfleddert und hohlköpfig im Bett liegen konnte wie die Vogelscheuche im Zauberer von Oz , nachdem die fliegenden Affen mit ihr fertig waren.
Und lebendig.
Und immer und immer wieder »›I will arise and go now, I will arise …‹« rezitierte, so lange, bis Timmie keinen anderen
Wunsch mehr hatte, als Yeats allein deshalb zu erdrosseln, weil er Innisfree überhaupt entdeckt hatte. Bis sie versucht war, ihrem Vater ein Kissen ins Maul zu stopfen, nur damit er still war. Bis der Drang, ihn einzuschläfern wie einen alten blinden Hund, übermächtig wurde.
Was sie zu der Frage brachte, warum ausgerechnet sie versuchte, Menschen auf die Spur zu kommen, die genau das taten. Die diese armen, leeren Hüllen von ihrem Leiden befreiten und ihren Angehörigen ermöglichten, ihr Geld in die Ausbildung ihrer Kinder zu investieren, anstatt es für die Pflege ihrer Eltern ausgeben zu müssen.
Timmie bezweifelte stark, dass das Barbs Absicht gewesen war, als sie ihr einen Dienst in Restcrest nahegelegt hatte. Wahrscheinlich hatte sie angenommen, Timmie würde leere Tubocurarin-Röhrchen zwischen den Laken oder handschriftliche Vermerke über dreifach überhöhte Digoxin-Gaben auf den Krankenblättern finden. Doch Timmie fand nichts dergleichen. Sie fand vielmehr eine gut geführte Station vor, in der es an nichts fehlte. Sie fand eine Station vor, deren Leiter regelmäßig vorbeikam um den alten Menschen übers Gesicht zu streicheln und wo die Patienten vielleicht nicht geheilt, aber zumindest gewaschen wurden.
Sie lernte auch den scheuen Dr. Davies kennen, was allein schon ein Abenteuer war. Sie sah ihn das Zimmer einer der neueren Patientinnen betreten, einer zerbrechlichen kleinen Dame namens Alice, die eine Menge Geld, ein Herz wie ein Presslufthammer und ein echtes Schandmaul hatte. Da Timmie aber auch wusste, dass Alices Familienangehörige alle
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