Todesschlaf - Thriller
Cleveland?«
Er sagte es ihr. Darunter war auch eines der Ehepaare, die Murphy und Leary vor einer knappen Stunde erst erzählt hatten, wie überraschend Mutters vorzeitiges Ableben für sie gekommen war. An Learys zusammengepressten Lippen konnte Murphy erkennen, wie enttäuscht sie deshalb war. Er beneidete sie um diesen letzten Überrest an Idealismus und fragte sich, wie lange er ihr wohl noch erhalten bleiben würde.
»Hat sich seither noch einmal jemand bei Ihnen gemeldet?«, fragte Leary jetzt, und ihre Hand lag immer noch auf dem Knie des mittelalten Mannes.
Mr. Cleveland schüttelte den Kopf und legte die Brillenkette wieder um den Hals, als wollte er damit signalisieren, dass er noch einmal versuchte, sich zusammenzureißen. »Wollen Sie zur Polizei gehen?«, sagte er dann. »Falls ja, könnten Sie mir dann genügend Zeit lassen, damit ich Betty Bescheid sagen kann? Sie weiß nämlich noch nichts davon.«
Leary warf Murphy einen schnellen Blick zu. Murphy hob die Hände. Ihre Entscheidung. Sie schüttelte den Kopf.
»Ich glaube kaum, dass wir zur Polizei gehen, Mr. Cleveland. Wären Sie bereit, uns bei der Aufklärung dieser Todesfälle zu helfen?«
»Wenn Sie möchten.«
Jetzt war Learys Lächeln ganz das Lächeln einer Frau, und Murphy war beeindruckt. Mr. Cleveland strahlte sie an, als hätte sie ihm Sex angeboten.
»Danke«, sagte Leary. »Das würde uns sehr helfen. Sie haben vorhin erwähnt, dass Ihr Vater einer der letzten Alteingesessenen gewesen sei. Was haben Sie denn damit gemeint?«
Cleveland hob den Zeigefinger. »Ich wette, Sie zahlen ein Vermögen für Ihren Vater, stimmt’s?«
Murphy sah, wie sich an Learys Hals rote Flecken bildeten. Trotzdem lächelte sie. »Ganz genau, Mr. Cleveland.«
Er nickte zufrieden. »Vater war schon lange in Restcrest, schon bevor sie mit diesen ganzen Umstrukturierungen und den Reha-Maßnahmen und so weiter angefangen haben. Und wir hatten einen Pflegevertrag auf Lebensdauer zu deutlich günstigeren Konditionen abgeschlossen. Dieser neue Manager, Landry, hat zwar versucht, den Vertrag aufzulösen, aber das hat er nicht geschafft. Also mussten sie Vater zu all den anderen stecken, die für diese ganze Hightech-Versorgung wahnsinnige Summen bezahlt haben.«
»Landry hat versucht, den Vertrag aufzulösen«, wiederholte Murphy leise.
Mr. Cleveland lachte wie alle, denen es gelingt, einen Mächtigeren übers Ohr zu hauen. »Wahrscheinlich hätte er uns am liebsten mit der Pfändung unserer Rente gedroht. Aber wir haben Glück gehabt. Die Rechtsanwälte des alten Restcrest waren noch altgediente Sozialisten und scharf wie Kettenhunde. Haben nicht zugelassen, dass man alte Menschen übers Ohr haut. Wir haben eine Pauschale von fünfundachtzig
Dollar pro Tag bezahlt, bis Vater gestorben ist. Das hat diesen Landry fast wahnsinnig gemacht.«
Murphy spürte erneut diese Unruhe. »Darauf würde ich wetten.«
Während Murphy diese letzte Information noch verdaute, stand Leary bereits auf und warf sich ihre Tasche über die Schulter. »Vielen Dank noch einmal, Mr. Cleveland. Wir wissen Ihre Hilfe wirklich zu schätzen.«
Sie streckte die Hand aus, und Mr. Cleveland ergriff sie mit seinen beiden Händen. »Ich danke Ihnen «, sagte er, und sein weiches Gesicht war ganz zerknittert vor Erleichterung.
Murphy stand ebenfalls auf, da bereitete Leary ihm eine weitere Überraschung.
»Und danke auch für den Anruf«, sagte sie, während ihre Hand immer noch von Cleveland umfasst wurde. »Schon der war eine große Hilfe.«
Murphy fand gerade rechtzeitig das Gleichgewicht, um die Verwirrung auf Mr. Clevelands Miene zu bemerken. »Anruf?«
Jetzt wirkte Leary verunsichert. »Der Anruf, der uns auf die Vorgänge in Restcrest aufmerksam gemacht hat«, sagte sie. »Ich dachte, das wären vielleicht Sie gewesen.«
Mr. Cleveland schüttelte sein langsam ergrauendes Haupt. »Nein. Ich wusste ja nicht einmal, wer Sie sind. Woher auch?«
Sie strahlte. »Natürlich. Tut mir leid. Da gibt es vermutlich noch eine Familie, die nicht ganz so erleichtert war, wie sie eigentlich erwartet hatte. Also danke nochmals. Ich hoffe, wir sehen uns unter angenehmeren Umständen einmal wieder.«
»Nehmen Sie ihren Vater heute Abend fest in den Arm, junge Frau«, sagte er mahnend und Murphy sah noch einmal Tränen aufblitzen.
Leary lächelte, nickte und floh.
»Landry«, sagte Leary fünfzehn Minuten später nachdenklich und setzte sich, die Donut-Tüte im Arm, vorsichtig wieder in
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