Todesschlaf - Thriller
Stellenabbau. Entlassungen. Kein Wunder, dass das brisante Unterlagen waren.Wenn die Mitarbeiter davon zu früh Wind bekamen, dann brach womöglich ein Riesensturm los. Aber trotzdem kein Grund, ihr Auto zu ruinieren, dachte Timmie.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass die Einführung unseres neuen Familienmitglieds GerySys erst später erfolgen soll?«, sagte sie und wartete gespannt auf eine Reaktion.
Doch dann war es Timmie, die erstaunt war, weil Mary Jane einfach nur schroff nickte. »Nein, das soll jetzt passieren.«
»Das scheint Sie nicht weiter aufzuregen.«
»Warum sollte es? Es ist eine naheliegende wirtschaftliche Entscheidung. GerySys hat das Kapital und wir die Reputation.«
Dadurch wurde Timmie nur noch wütender. »Was würde Alex dazu sagen?«
Mary Janes Lächeln wirkte beinahe wohlwollend. »Wenn wir Glück haben, dann ist er in Gedanken so sehr bei seiner Arbeit, dass er es gar nicht merkt. Er hat keine Ahnung von Finanzen, Ms. Leary. Und es wäre sicherlich besser, wenn dieser Schritt nicht notwendig wäre. Aber eine Einrichtung
wie die unsere kann heutzutage ohne zusätzliche Geldquellen schlicht und einfach nicht mehr existieren.«
Sieh mal einer an. Timmie klemmte sich den Behälter mit den Beweismitteln fest unter den Arm und wollte sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen.
Aber sie war nicht schnell genug. Kaum hatte sie Alices Zimmer verlassen, da hörte sie hastige Schritte in ihrem Rücken.
»Oh, Ms. Leary, da sind Sie ja!«
Timmie hob den Kopf und sah, wie Tracy aus dem Trakt ihres Vaters gelaufen und schlingernd in der Stationstür zum Stehen kam. Sie sah fast genauso erschüttert aus wie die Versammlung hier. Es war schon verblüffend, was man alles ausblenden konnte, wenn man nur wollte. In dem Augenblick, in dem Timmie Tracy sah, hörte sie auch die Geräusche, die vermutlich schon seit mindestens zehn Minuten aus dem anderen Flur herübergedrungen waren.
»Wo ist meine Tochter? Timmie, Hilfe! Hilf mir, Timmie!«
Den Beweismittelbehälter wie einen Football unter den Arm geklemmt, jagte Timmie in Richtung Popcornduft und Katastrophe davon.
In die Ecke gedrängt stand er da, wie Frankensteins Monster im Angesicht der Mistgabeln. Nur, dass die Mistgabeln in Wirklichkeit die gereckten Arme etlicher Krankenschwestern und mehr als eines Wachmannes waren.
»Tut mir leid«, keuchte Timmie und schlitterte bis an den Rand des Grüppchens. Von allen Seiten war das aufgeregte Gebrabbel brüchiger Stimmen zu hören, die auf den Ausbruch reagierten.
Joe sah überhaupt nicht zu ihr hin. »Timmie! Wo ist meine Tochter?«, jammerte er und schlug nach dem ihm am nächsten stehenden Wachmann, einem jungen Fleischklops namens Dave, der sich aber einfach wegduckte und seine Stellung behauptete. »Sie halten sie gefangen«, beharrte er
und jaulte, bis ihm die Augen tränten. »In Glen-Car. Dort müsst ihr nach ihr suchen, bitte!«
»Glen-Car?«, sagte eine der Krankenschwestern aus dem hinteren Teil der Menge. »Wo ist denn das? Wovon redet er da?«
Dave lächelte, ohne den Blick von Timmies Vater zu nehmen. »Von diesem Dichter, den er so gerne mag, Yeats. ›Das gestohlene Kind‹, nicht wahr, Joe? ›Komm hinweg, du Menschenkind! Zu den Wassern, zu dem Wind‹. Es geht da um Elfen.«
Die Krankenschwester nickte beeindruckt. »Wahnsinn.«
»Dad!«, rief Timmie und drängelte sich nach vorne. »Daddy, ich bin’s! Timmie!«
Das verdammte Popcorn war schuld. Sie hätte daran denken müssen. Genau deshalb hatte sie zu Hause nur noch selten Popcorn gemacht. Er roch den Duft, wurde in die guten, alten Zeiten zurückkatapultiert und bekam dann Angst, wenn er die Kneipentür nicht mehr finden konnte.
Er fand sie noch immer nicht. »›Denn mehr Leid in dieser Welt ist, als dein Verstand dir sagen kann.‹«
Vorsichtig stellte Timmie den in ihren Mantel gewickelten Behälter mit dem Siegel des Regierungsbezirks ab und ging - mit erhobenen Händen, damit er sie besser sehen konnte - auf ihren Vater zu. Nicht, wollte sie ihn anflehen. Nicht wütend und traurig sein. Nicht heute. Ich kann einfach nicht noch mehr ertragen.
»Dad, ich bin hier«, sagte sie flehend. »Ich bin gar nicht weggegangen. Ich bin hier.«
Doch er war so gefangen in seiner Elfen-Welt, dass er sie nicht einmal hören konnte. »Timmie, wo bist du? Hilf mir! Sie lassen mich nicht mehr raus, und um neun habe ich einen Auftritt!«
Sie legte ihm die Hand auf die frisch rasierte, weiche Wange. »Dad, ich bin
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