Todesschlaf - Thriller
geliebten Verstorbenen ins Grab zu werfen. Die Erzdi özese hatte offensichtlich beschlossen, dass ein frischer Erdhaufen neben im Wind flatternden Zeltbahnen den trauernden Familien ein bisschen zu viel Realität zumutete.
Timmie wollte die frische Erde. Sie wollte das Loch und den Wind und die gespenstischen, im Schatten wartenden Totengräber, um zu spüren, dass es Wirklichkeit war. Um dieser grässlichen Szene in ihrem Wohnzimmer einen angemessenen Abschluss zu verleihen. Aber so endete das Ganze mit ein paar behutsamen Worten, die am kalten Stein widerhallten, gefolgt von der knappen Bitte, schnell zu den Autos zurückzukehren, damit die nächste Schlange der Trauernden abgefertigt werden konnte.Wie sie das hasste.
Aber eigentlich hasste sie das Ganze sowieso. Das steife Unbehagen der Überlebenden, die rührselige Fassungslosigkeit der Eltern, die all ihre irdischen Hoffnungen in ihren Sohn gesetzt und ihn überlebt hatten. Die hilflose Verstörung des kleinen Mädchens, das immer noch nicht glauben konnte, dass sein Vater nicht wenigstens noch einmal durch die Tür kommen und ihr zulächeln würde.
Eigentlich hätten sie Timmies Vater beerdigen müssen und nicht Meghans. Das zumindest hätten sie mit Stil über die Bühne gebracht, hätten sich bei altem Whiskey und Sandwiches wüste Geschichten erzählt und noch wüstere Lieder gesungen. Bei Jason aber reichte es nicht einmal für einen einfachen Trinkspruch. Also war man still nach draußen gegangen und hatte sich in dem geschmackvoll im Kolonialstil eingerichteten Haus der Parkers im Herzen von Ladue getroffen, wo alle bis auf Timmie geflissentlich übergingen, dass Jason ohne jeden ersichtlichen Grund ermordet worden war.
»Sie haben mir gar nicht erzählt, dass Jason aus einer so privilegierten Familie stammt«, sagte Murphy. Sie standen nebeneinander an der Wohnzimmertür.
Ladue war das Bel Air von St. Louis, wo die Superreichen sich mit den ganz normalen Reichen zu Dinnerpartys auf manikürten Rasenflächen und alten Backsteinveranden drängten, und wo ein ehemaliger Bürgermeister einmal bis zum Obersten Gerichtshof gegangen war, um ein Verbot der Verschandelung makelloser Vorgärten durch politische Plakatwände zu erreichen.
»Er war das verwöhnte Kind einer privilegierten Familie«, fügte Timmie hinzu und sah zu, wie ihre Schwiegereltern durch die Zimmer schritten. »Hier geht es nicht gerade ärmlich zu, oder?«
»Sind Sie auch so aufgewachsen?«
»Ach was. Jason und ich haben uns am College kennen gelernt, und da war es sehr romantisch, finanzielle Unterschiede einfach zu ignorieren. Vielleicht hätte es ja funktioniert, wenn Jason nicht den Kaufzwang seines Vaters und die Suchtneigung seiner Mutter geerbt hätte. Ich war immer diejenige, die ihm irgendwie helfen musste, von Anfang bis zum Schluss.«
Und Betty und Jason senior, deren Liebe sich Timmie so
sehr gewünscht hatte, hatten sich einfach mit ihr abgefunden. Sie hoffte, dass sie Meghan mehr Zuneigung entgegenbringen konnten als ihr, denn Meghan hatte es sehr, sehr viel nötiger als sie.
»Ist Micklind auch noch da?«, wandte sie sich an Murphy und nippte an ihrem Mineralwasser.
Murphy lächelte grimmig. »Er hat gesagt, er könne nicht vor mir nach Hause gehen, schließlich hätte er mich auch hierhergebracht. Aber ich glaube, er ist bloß wegen des Essens hier.«
Timmie lachte. »Verdammt, sogar ich bin bloß wegen des Essens hier.«
Eine kleine, feine vierköpfige Familie im erlesenen Sonntagsstaat blieb einen Augenblick vor ihr stehen, schmiegte ihre Wangen an Timmies und murmelten etwas Belangloses über Jasons Leben und Sterben vor sich hin, bevor sie weitergingen. Timmie seufzte und lehnte sich an die Wand. »Und, was gibt es Neues von der Ermittlungsfront?«
Murphy nippte an seinem Wasser wie an einem schönen Scotch. »Jetzt müssen Sie schon auf der Beerdigung Ihres Exmanns einen Kriminalbeamten ertragen. Finden Sie nicht, Sie sollten die Sache mal für einen Augenblick ruhen lassen?«
»So bekommt mein Leben einen Sinn, Murphy.«
»So bekommen Sie eine eigene Akte im Morddezernat, wenn Sie nicht aufpassen. Im Krankenhaus wissen mittlerweile alle Bescheid, und es hat ziemliche Wellen geschlagen. Das heißt also, Micklind hat Recht. Sie haben sich zur Zielscheibe Nummer eins gemacht und Walter und ich können nicht ständig auf Sie aufpassen.«
Sie grinste ihn an, wollte ihm unbedingt ein wenig von dem Druck nehmen. »Sie machen sich Sorgen um mich,
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