Todesschlaf - Thriller
doch etwas!«, kreischten die beiden Schwestern los, und es klang wie in einer sehr schlechten Oper.
Scheiße, dachte Timmie. Scheiße und nochmals Scheiße und nochmals Scheiße. »Mr. Van Adder soll noch dableiben!« rief sie in Richtung Rezeption und rannte los, um ein Beatmungsgerät zu holen.
Letztendlich brauchten sie Mr. Van Adder doch nicht mehr. GOMER sterben nie, so lautete ein altes Krankenhaus-Sprichwort. Und da neben dem Eintrag zum Thema »GOMER« in jedem medizinischen Wörterbuch ein Bild von Mrs. Winterborn zu sehen gewesen wäre, war klar, dass auch sie nicht starb. Sie überlebte also ihren fünfzehnten Herzstillstand und wurde an die modernsten Apparate der Abteilung angeschlossen, wo ihre Töchter sich glücklich und zufrieden in ihrer Nähe herumdrücken konnten. Timmie rückte Billys Akte heraus, arbeitete deprimiert ihre Schicht zu Ende und ging nach Hause.
Von außen betrachtet strahlte ihr Haus Ruhe aus. Licht ergoss sich wie warme Milch über den sorgfältig gepflegten Rasen, und die Bäume wiegten sich in einer sanften Brise hin und her. Einladend. Tröstlich. Friedvoll.
An irgendeinem anderen Ort vielleicht. Timmie hob den Blick, betrachtete ihr Haus und kam am Rand ihres Vorgartens stockend zum Stehen. Viel hätte nicht gefehlt und sie hätte auf dem Absatz kehrtgemacht, um ins Krankenhaus zurückzugehen und freiwillig die nächste Schicht zu übernehmen - obwohl sie wusste, dass Meghan da drin auf sie wartete.
Was nun folgte war so unvermeidlich wie das Amen in der Kirche: Sie prallte mit hundert Stundenkilometern auf eine Betonwand aus schierer Depression. Wie schön es wär zu fliehen, dachte sie mit stierem Blick. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass der ganze Kasten sich in seine Bestandteile auflöste, und sie zusammen mit Meghan wieder am Strand sein konnte. Ihre Mutter hatte also doch Recht
behalten. Egal, wovor du wegläufst, es wartet in der Dunkelheit auf dich. Nun, es war dunkel, und es wartete auf sie.
Schließlich raffte sie sich doch noch auf, holte den Schlüssel aus der Tasche und stieg die Stufen zur Eingangsterrasse empor. Die Holzdielen knarrten, und über ihrem Kopf raschelte das Laub in den Bäumen.Als sie den Schlüssel in das Schloss steckte, drang aus dem Hintergrund Jack Bucks Stimme an ihr Ohr und sie dachte daran, dass sie eigentlich noch bei der Apotheke hätte vorbeigehen sollen.
Sie konnte immer noch gehen. Konnte sich ungesehen wieder hinausschleichen. Konnte bis zum Fluss gehen und seinem Lauf nach Süden folgen, so lange, bis es keinen Menschen mehr gab, der sie kannte. Der sie brauchte. Der sie in die Enge trieb und sie zu Boden drückte und sie in Fetzen riss wie ein zerfleddertes Brathähnchen.
Dadurch musste sie an Mrs. Winterborn denken, die drüben auf der Intensivstation lag, gefesselt und geknebelt von medizinischen Geräten und ihren Töchtern, und sie fühlte sich schuldig. Also ging sie schnell nach drinnen, um dort nach dem Rechten zu sehen, bevor sie erneut flüchten und - mit ebenso schlechtem Gewissen - das Haldol besorgen wollte.
»Hallo, Schätzchen, ich bin zu Hause«, rief sie, noch während sie die Eingangstür aufstieß.
Von außen bot das Haus ihrer Großmutter einen perfekten Anblick - schließlich war die Gartenarbeit die größte Freude ihres Vaters gewesen. Um das Innere jedoch hatte er sich nie groß gekümmert. Dazu kam, dass Timmies Großmutter einen regelrechten Horror davor gehabt hatte, etwas wegzuwerfen, sodass Timmie im Grunde genommen ein Lagerhaus mit neun Zimmern geerbt hatte. Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Bankauszüge, Kataloge. Alles, was man sich nur denken konnte. Fünfzig Jahre lang war kein einziger Schnipsel weggeworfen worden - alles stapelte sich im
Haus, balancierte auf wackeligen Möbeln, lag in staubigen Ecken herum, türmte sich an manchen Stellen bis hinauf an die vier Meter hohen Decken und stellte alles in allem das Brandrisiko des Jahrhunderts dar. Im Lauf der fünf Wochen, in denen sie jetzt schon hier war, war es Timmie gelungen, einen Trampelpfad durch vier Zimmer anzulegen sowie im Wohnzimmer genügend Platz zu schaffen, um dem Schaumstoffball, der mit einem Seil an der Aufhängung für die Deckenlampe angebracht war, ein paar ordentliche Schläge mit dem Baseballschläger verpassen zu können. Alles andere musste so lange warten, bis sie es sich leisten konnte, einen Müllcontainer zu bestellen.
Cindy streckte den Kopf zur Küchentür heraus und lächelte. »Mann,
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