Todesschlaf - Thriller
bin ich froh, dass du da bist. Das war ein langer Abend. Ich war wohl nicht schnell genug und habe mich zu spät geduckt. Ist aber nicht so schlimm, ich habe Eis draufgetan. Und ich glaube, Meghan kann mich nicht leiden. Sie hat mir immer wieder diese Eidechse vor die Nase gehalten.«
Ob eine Eidechse wohl als Waffe galt? Das fragte sich Timmie, während sie den erneut auflodernden Drang wegzulaufen bekämpfte. Konnte Cindy Meghan womöglich wegen Nötigung mit einem tödlichen Reptil anzeigen? »Ich habe vergessen, zur Apotheke zu gehen«, sagte sie. »Meinst du, ich kann noch mal schnell lossausen?«
»Aber natürlich.« Cindys Lächeln hätte jedem Märtyrer zur Ehre gereicht. »Hast du noch Geld? Ich war vorige Woche in einem dieser schwimmenden Spielcasinos und habe noch hundert übrig.«
»Nein, nein, kein Problem. Es reicht noch.«
Sie quetschte sich an einem Beistelltischchen vorbei, das wackelig inmitten eines Haufens Plastikgeschirr und Verpackungsmaterial stand, und arbeitete sich in die Küche vor, wo der Sportreporter Jack Buck sich immer noch für das
runderneuerte Baseballteam der St. Louis Cardinals begeisterte, die heute gegen die Chicago Cubs spielen sollten.
»Ein wunderbarer Nachmittag hier auf dem Wrigley Field«, versicherte er den Fans gerade aus dem Fernseher, der im hinter der Küche liegenden Zimmer flimmerte.
Es war eine alte Schwarz-Weiß-Kiste, die an einen hochmodernen Videorecorder angeschlossen war. Sie war das einzige Möbel im ganze Zimmer, abgesehen von einem durchhängenden Einzelbett mit einer zusätzlich angebrachten Hebe- und Senkvorrichtung und einer Sonnenblumendecke, einem maroden Beistelltischchen und einem zerschlissenen alten Ohrensessel, der früher einmal blau gewesen war. Der Sessel stand mitten im Zimmer, direkt vor dem Fernseher, fast so wie Captain Kirks Kommandosessel auf der Enterprise, während sich dahinter, im Schatten, Müllberge erhoben. Doch der Mann im Sessel nahm davon nichts wahr. Sein Blick war auf die grobkörnigen Bilder des Fernsehers gerichtet.
Er war ein Schrank von Mann mit breiten, knochigen Schultern, dichtem weißem Haar und hohen, akzentuierten Wangenknochen. Seine einst stechend blauen Augen waren wässerig und sein Blick unstet geworden. Seine knorrigen, kräftigen Hände lagen auf den Sessellehnen, während er alle Konzentration, die ihm noch geblieben war, auf das Spiel richtete und irgendetwas vor sich hin murmelte.
»Anders habe ich ihn nicht ruhigbekommen«, sagte Cindy entschuldigend. »Er wollte immer wieder weglaufen, aber er wollte mir nicht sagen, wohin.«
Timmie ging neben dem Sessel in die Knie und legte ihre kleinen Hände auf seinen knochigen Oberschenkel. »Er weiß es nicht mehr«, sagte sie. Dann tätschelte sie ihm lächelnd die abgemagerten Knie. »Hallo, Daddy.«
Die sanften, distanzierten blauen Augen flackerten unruhig und wandten sich ihr für eine Weile zu.
»Was macht das Spiel?«, fragte sie und tätschelte ihn dabei. Tätschelte seine Hand und sein Knie und zog die Fixierweste zurecht, die ihn in seinem Lieblingssessel festhielt, so, als könnte allein der Körperkontakt ihn wieder zu ihr zurückbringen.
»Ich muss jetzt gehen«, sagte er und zupfte an dem zerschlissenen Stoff unter seinen Fingern herum. »Ich muss …«
»Ich soll dich von allen grüßen«, antwortete Timmie und strich ihm über die Schultern - die Schultern, auf denen sie gesessen und Festumzüge am St. Patrick’s Day oder Ehrenrunden nach einem Home Run gesehen hatte.
»Hast du Dr. Raymond angerufen?«, erkundigte sich Cindy hinter ihr.
Timmie streichelte ihren Vater noch ein paar Mal, jedoch ohne Wirkung. Sie hatte ihn bereits wieder an das Spiel verloren. »Das kann ich mir nicht leisten.«
»Es gibt hier in der Stadt aber nicht mehr viele Heime, wo du’s noch probieren könntest«, rief Cindy ihr ins Gedächtnis. »Dreimal haben sie ihn schon rausgeworfen. Und dass du ihn hier nicht länger behalten kannst, das ist doch klar. Du hättest ihn auf der Pferdegala ansprechen sollen, so, wie du es vorgehabt hast.«
»Ich weiß.« Timmie dachte an das arme, todkranke Wesen, mit dem sie heute zu tun gehabt hatte, und dann an den kleinen Mann, von dem sich Alex Raymond noch extra verabschiedet hatte. Sie hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand einen Tritt in die Magengegend verpasst, und so langsam hatte sie genug davon. Also stand sie auf.
»Ich gehe zur Apotheke«, sagte sie und ging los.
Timmie wusste nicht einmal mehr, wie
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