Todesschlaf - Thriller
Gardinenstangen?«, wiederholte er und riskierte schließlich einen Blick.
Sie waren genau da, wo sie sein sollten, oberhalb der drei Fensteröffnungen. Von einer baumelten die letzten Fetzen eines grässlichen, braun karierten Vorhangs herab. Über die Stangen selbst ließ sich absolut nichts Bemerkenswertes sagen. Sie waren zwar angesengt und verrußt, aber ansonsten intakt. »Sie sehen gut aus.Wieso?«
»Verstehen Sie jetzt, was ich meine?«
»Nein.«
Sie machte eine Handbewegung in Richtung der Gardinenstangen. »Bei meiner Ausbildung zur Sonderinspektorin der Gerichtsmedizin habe ich etwas gelernt. Ein Feuer zieht immer nach oben.«
»Das habe ich schon bei den Pfadfindern gelernt.«
Sie nickte, ohne erkennbare Anzeichen von Verstimmung zu zeigen. »Und da ein Feuer immer direkt bis an die Decke steigen und sich dann über die Wände wieder nach unten arbeiten würde, wobei der Temperaturunterschied zwischen oben und unten fast tausend Grad betragen kann, bedeutet das, dass eine Gardinenstange noch vor den daran befestigten Vorhängen heiß werden würde, richtig?«
Murphy hielt den Blick weiter auf das Haus gerichtet. Er zog sogar eine Zigarette hervor, die ihm beim Nachdenken helfen sollte. »Okay.«
Sie nickte. »Und wenn die Stange heiß wird, bevor die Vorhänge Feuer fangen, dann müsste das Gewicht der Vorhänge die Gardinenstange eigentlich nach unten ziehen, und sie würde sich, nachdem die Hitze sie hat biegsam werden lassen, in der Mitte durchbiegen. Vor allem mit solchen
Vorhängen. Ich habe nachgesehen.Victor hat überall schwere Vorhänge gehabt, damit er richtig verdunkeln konnte, wenn er tagsüber schlafen musste.«
Murphy unterbrach seinen ersten Zug. Jetzt fühlte er sich eindeutig unwohl. »Die Stangen sind aber alle total gerade.«
»Und das bedeutet, dass schon keine Gardinen mehr da waren, als sie so heiß wurden, dass sie sich hätten biegen können.«
»Die Vorhänge haben also zuerst gebrannt«, schloss Murphy den Gedanken ab, »weil ein Brandbeschleuniger auf den Boden geschüttet worden ist.«
»Sie sollten unbedingt zum FBI gehen, Murphy. Sie sind ein Naturtalent.«
»Die Leute von der Brandstiftung sagen, die Ursache sei unvorschriftsmäßig gelagertes Kerosin gewesen.«
»Es war von einer ›spontanen Verpuffung‹ die Rede«, sagte sie. »Das Problem ist nur, dass Kohlenwasserstoffe gar nicht verpuffen können . Unter gar keinen Umständen, niemals. Ist aber ein weit verbreiteter Fehler, das anzunehmen. Weniger weit verbreitet ist jedoch das Ignorieren von Kerosindämpfen im vorderen Eingangsbereich, wenn die Verpuffung angeblich in der Garage stattgefunden haben soll. Kann ich eine Zigarette haben?«
»Sie rauchen?«
»Nur, wenn ich auf absehbare Zeit nicht nach Hause komme. Mein Dad riecht es auf zehn Meter Entfernung, und es macht ihn wahnsinnig.«
Murphy holte seine Schachtel heraus und schüttelte eine Zigarette hervor. Seltsam - als sie sie anzündete, sah sie fast aus wie ein Schulmädchen, das heimlich rauchte. Murphy musste daran denken, wie er nach seinem Auszug aus dem Elternhaus innerhalb von zwei Tagen eine Flasche Bourbon geleert hatte, nur, weil er jetzt konnte.
»Und, was haben Sie jetzt vor?«, wollte er wissen.
»Ich weiß nicht.Was haben Sie vor?«
Jetzt lachte auch Murphy. »So, wie es aussieht, sind wir beiden die letzten Mohikaner in der Stadt.«
Sie ließ sich Zeit und sog den nächsten Zug tief in die Lunge, schien sich mit geschlossenen Augen um die Zigarette zu wickeln, als ginge es darum, möglichst viel Kontakt zu ihr zu haben. Murphy beobachtete sie und verspürte zum ersten Mal nach sehr, sehr langer Zeit wieder den Wunsch, noch einmal die Energie aufbringen und sich auf eine Beziehungskatastrophe einlassen zu können. Aber er war dazu viel zu alt, und sie viel zu verliebt in den Klang der Sirenen.
»Wir scheinen beide eine Ecke desselben Problems am Wickel zu haben«, sagte sie schließlich und streckte sich, wobei sie die halb gerauchte Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger festhielt. »Irgendjemand ruft Sie an und spricht von Morden, über die ich angeblich Bescheid wissen soll, und dann erhalten wir beide eine Drohbotschaft. Wir sind Augenzeugen einer Schießerei, zu der Victor uns ein paar Fragen stellt, und schon wird er eingeäschert. Ich möchte hiermit eindeutig klarstellen, dass ich die Verantwortung für meinen Vater und meine sechsjährige Tochter in Ihre Hände lege, falls mir etwas zustoßen sollte.«
»Sie
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