Todesschrei
Zeit über alles Sorgen zu machen - über Anna, Geld, ihre Karriere. Und heute hatte sie eine neue Sorge dazubekommen - was Vito Ciccotelli wohl über sie denken mochte, wenn er Alan Brewster kennengelernt hatte.
Sie berührte mit dem Zeigefinger ihre Lippen und erlaubte sich, an den Kuss zu denken. Sofort beschleunigte sich ihr Herzschlag. Sie wollte mehr, so viel mehr. Und einen Moment lang gestand sie sich zu, daran zu glauben, dass es diesmal - dieses eine Mal - wirklich klappen könnte.
Bist du eine dumme Kuh!
Endlich hatte sie einen netten Mann kennengelernt, der all das sein konnte, was sie sich bei einem Partner wünschte, und sie hatte ihn zu einem anderen geschickt, der sie wahrscheinlich als billige, sexbesessene Schlampe ohne Moral darstellen würde.
Aber vielleicht glaubt er Alan ja nicht.
Ha! Alle Männer glaubten Alan, weil sie in gewisser Hinsicht glauben
wollten,
dass sie leicht zu haben war.
Neun Gräber, Sophie. Du hast das Richtige getan.
Aber warum musste das Richtige immer so grässliche Nebenwirkungen haben? Seufzend ließ sie sich zurücksinken und sah Anna beim Schlafen zu.
Montag, 15. Januar, 18.50 Uhr
»Und wie war es bei der Staatsanwältin?«, fragte Vito, als er in Nicks Sedan stieg.
Sie hatten sich vor der Fabrik getroffen, wo die Verlobte von Keyes arbeitete.
»Ganz okay.« Nick warf ihm ein belegtes Baguette zu. »Lopez glaubt, sie kann den Dealer festnageln.« »Dann gibt es ja wenigstens
etwas
Gerechtigkeit«, sagte Vito und wickelte das Sandwich aus. Der Duft von Hackfleischbällchen durchzog den Wagen. »Ein bisschen Gerechtigkeit ist zehnmal besser als gar keine.« Nicks Achselzucken besagte, dass er nicht Vitos Meinung war, aber nicht streiten wollte. »Was habe ich verpasst?« »Ich habe mir die Vermisstenliste angesehen und alles unterstrichen, was auch nur vage Ähnlichkeit mit einem unserer Opfer hat. Liz hat die Idee abgenickt, einen Zeichner reinzuholen, damit wir etwas zum Rumzeigen bekommen.«
Nick pfiff durch die Zähne. »Sie hat dir Geld bewilligt?« »Lieber Himmel, nein. Ich habe Tino vorgeschlagen.« Nick nickte beeindruckt. »Klasse Idee.« »Er sollte jeden Moment bei Katherine im Leichenschauhaus eintreffen. Dann war ich noch im Krankenhaus bei Molly. Es geht ihr besser.«
»Du warst ja schwer beschäftigt. Weiß man schon, woher das Quecksilber kommt?«
»Ja. Die staatliche Umweltbehörde hat herausgefunden, dass ihr Gaszähler kaputt war.«
»Baut man heute noch Zähler mit Quecksilber?«
»Nein, aber Dinos Haus ist alt und der Zähler ebenfalls.
Angeblich werden die Zähler in den alten Häusern gerade ausgetauscht, aber Dinos Haus war einfach noch nicht an der Reihe. Sie haben Quecksilber im Schlamm unter dem Zähler gefunden.«
»Aber Zähler gehen doch nicht einfach so kaputt.« »Man vermutet, dass er von einem Stein oder Ball oder so was getroffen worden ist. Pop hat die Jungs befragt, aber die sagen, sie wüssten nichts. Molly meinte, letzten Freitag sei der Hund vollkommen schlammverschmiert hereingekommen. Sie hat ihn gebadet und ist dabei wahrscheinlich in Kontakt mit dem Quecksilber gekommen. Der Tierarzt hat den Hund getestet und tatsächlich eine gewisse Konzentration gefunden, aber nicht genug, als dass er davon krank wurde. Aber nach dem Hundebad hat Molly noch staubgesaugt, wodurch das Quecksilber schön im ganzen Haus verteilt wurde. Jetzt müssen sie erst einmal alle Teppiche ersetzen, bevor sie da wieder wohnen können, also habe ich noch eine ganze Weile Gesellschaft.« »Jedenfalls bin ich froh, dass es mit ihr bergauf geht. Das allein zählt.«
Vito holte Sophies Zettel aus der Tasche. »Und ...« Er seufzte. »Ich habe Sophie abgefangen.« »Ja, du warst
wirklich
schwer beschäftig.« Er überflog das Blatt. »Verkäufer mittelalterlicher Reproduktionen, Kettenhemden ...« Er sah mit leuchtenden Augen auf. »Die kreisrunden Wunden, die der Kerl mit dem halben Kopf hatte. Er könnte ein Kettenhemd getragen haben!« Vito nickte. »Du hast recht. Die Größe kommt hin. Gut nachgedacht.«
»Professor in Frankreich«, fuhr Nick fort. »Ein gewisser Lombard, Aufenthaltsort unbekannt. Und Alan Brewster. Warum ist der Name handgeschrieben?« »Sie hat ihn mir in letzter Minute dazugekritzelt. Ich habe das dumpfe Gefühl, mit diesem Mann verbindet sie etwas ... böse Geschichte.«
Nick sah kurz auf und grinste. »Autsch, du Scherzkeks.« Vito verdrehte die Augen. »Das sollte kein geistreiches Wortspiel sein. Jedenfalls wollte
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