Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
versuche, das Ganze so ausführlich wie möglich zu erklären, damit man mir nicht vorwirft, dass ich einfach Sachen überspringe, etwas verschweige …«
»Weiter.«
Gundersens Gesichtsfarbe hatte sich von rosa zu dunkelrot verfärbt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er explodierte, wenn Steffen nicht etwas Tempo zulegte. Rebekka überlegte kurz, ob sie eine andere Strategie verwenden sollten, beschloss jedoch, Gundersen die Vernehmung steuern zu lassen. Sie bedienten sich unterschiedlicher Vernehmungstechniken. Rebekkas Spezialgebiet war die kognitive Methode, bei der man sich reichlich Zeit ließ, sich kameradschaftlich gab, den zu Vernehmenden frei reden ließ. Gundersen dagegen vertrat eine altmodischere Linie.
Steffen beugte sich vor, trank einen Schluck Kaffee und fuhr mit seiner Erklärung fort: »Wir haben uns bei einem Grillfest im Hof wiedergetroffen. Anita war wie üblich deprimiert, weshalb sie mit den beiden Kleineren schon früh in die Wohnung hochgegangen ist, während ich noch geblieben bin. Es war gemütlich, die Stimmung war gut, und plötzlich hatten Vibs und ich zusammen Bardienst und …« Er lachte erneut. »Zugegeben, ich habe dafür gesorgt, dass wir zusammen dran waren.« Er schielte zu Gundersen hinüber, dessen Kopf an einen Dampfkochtopf erinnerte.
»Wir haben es richtig gut zusammen, Vibs und ich. Man kann klasse mit ihr reden, nicht wie mit Anita, die immer mürrisch ist, immer muffig und die einem nur einsilbig antwortet. Ich möchte von meiner Arbeit erzählen können, aber Anita will davon nichts hören.«
Fand das Gespräch denn nie ein Ende? Rebekka starrte mutlos vor sich hin. Dann räusperte sie sich. »Ihnen fehlt ein Alibi für die anderthalb Stunden, die Sie auf dem Ausflug verschwunden sind. Kann diese Vibeke Ihnen das geben?«
Steffen blickte zu Boden und nickte ruhig, dann sah er wieder Rebekka an. »Anita erfährt davon nichts, oder? Sie sind doch diskret, nehme ich an.«
Rebekka sah ihn müde an, nickte kurz und reichte ihm ein Stück Papier. »Seien Sie so freundlich und schreiben Sie uns den vollen Namen, die Adresse und die Handynummer Ihrer Geliebten auf.«
Steffen runzelte die Brauen. »Ich möchte gerne zuerst mit ihr reden, ist das in Ordnung?«
»Sofort«, sagte Rebekka nur, und Steffen beugte sich mit einer ärgerlichen Grimasse über den Tisch und schrieb.
—
Das Spiegelei war in der abgenutzten Bratpfanne festgepappt, und Søren bemühte sich, die Reste auf den Teller zu kratzen. Es sah nicht appetitlich aus, dachte er, aber die Mutter aß ohnehin nie sonderlich viel. Sie würde das Essen kaum anrühren.
Sein Magen verkrampfte sich. Wenn sie nur nicht noch mehr abnahm. Die Haut hing ihr bereits so lose um die Knochen, als hätte man Stoff darum drapiert. Søren spürte, wie ihm der Schweiß das Rückgrat hinunterlief. Dummer, dummer Søren. Nicht auszudenken, wenn sie verhungerte. Bei dem Gedanken schnürte sich sein Hals zusammen, und er öffnete kurz die Kühlschranktür in der Hoffnung, etwas Appetitlicheres für sie zu finden.
Im Gemüsefach lag ein runzliger Apfel, den er mit auf den Teller legte. Der war gesund, aber würde sie ihn essen? Vermutlich nicht. Er nahm den Apfel wieder weg und sah sich um. Öffnete den Küchenschrank, griff nach einer seiner Kekspackungen und legte großzügig ein paar Kekse auf eine Untertasse. Er hatte sie eigentlich für den Abend zurückgelegt, wo er sich Vater von vier Kindern ansehen wollte, aber er konnte wohl ein paar davon entbehren. Er wollte seine Mutter schließlich so lange wie möglich behalten. Sie lebten jetzt fast achtundvierzig Jahre zusammen in dieser Wohnung, zuerst noch mit dem Vater und der großen Schwester, doch die letzten fünfzehn Jahre allein.
»Mama.« Er klopfte vorsichtig an die Tür, von der die Farbe abblätterte. »Mama, es gibt Essen.«
Sie antwortete nicht, und er lauschte an der Tür, während ihn die wohlbekannte Angst übermannte, dass sie tot in ihrem Bett liegen könnte. Sein Herz schlug hart, und er machte die Tür zu dem halb dunklen Schlafzimmer ganz auf, während ihm der Geruch nach Verwesung und Zigarettenrauch entgegenschlug. Er kniff den Mund zusammen und tastete nach dem Schalter an der Wand. Eine Sekunde später beleuchtete die Deckenlampe das Zimmer: die Kommode mit dem alten Fernseher, den unordentlichen Nachttisch, der von schmutzigen Kleenex, Pillengläsern und halb vollen Wassergläsern überquoll, den Boden, auf dem stapelweise schmutzige Kleidung
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