Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
blassen Gesicht an.
Sie wollte gerade in den Valbygårdsvej hinunter abbiegen, als der Gedanke an die leere Wohnung sie einen schnellen Entschluss fassen und weiter geradeaus Richtung Valby Park fahren ließ.
Eine imponierende Wolkenformation glitt über den rosa Abendhimmel. Der laue Sommerabend hatte die Leute aus ihren Wohnungen gelockt, und der Park war voller Menschen, die verstreut auf den weiten Grünflächen saßen. Junge Paare, die sich küssten, Familien mit Kindern, die Essen auf mitgebrachten Decken auspackten, Hunde, die schwanzwedelnd in der Menschenmenge herumliefen. Rebekka spazierte durch den großen Park, prägte sich die Umgebung ein, die Laute, die Gerüche. Es war unbegreiflich, dass ein Kind von einem Ort wie diesem verschwinden konnte, und dann doch wieder nicht. In der Menschenmenge konnte man leicht verloren gehen, dachte sie und erinnerte sich plötzlich an eine Familientragödie vor ein paar Jahren, als ein kleiner Junge im Disneyland Paris vor den Augen Tausender Menschen verschwunden war. Er war nie wieder aufgetaucht.
Eine Biene summte um sie herum, sie scheuchte sie mit ruhigen Bewegungen fort und ging weiter zu dem kleinen Wäldchen, wo Sofies Pullover gefunden worden war. Rebekka folgte dem Weg, kam an verschiedenen mit Gras bewachsenen Hügeln vorbei und stand kurz darauf unter den schattigen Bäumen. Die Höhle war noch da, nur ein Teil des Dachs war eingestürzt. Sie beugte sich vor, suchte im Gras nach ein paar Zweigen und reparierte das Loch. Dann ging sie zu dem heruntergetretenen Maschendraht hinüber, der das Gebiet zum Weg hin abgrenzte, ließ den Blick auf den geparkten Autos verweilen, während sie sich ein weiteres Mal vorstellte, wie Sofie zu dem ungefähr dreißig Meter entfernt stehenden Wagen getragen worden war. Warum hatte er sie getragen? Es musste einen Grund dafür geben. War ihr übel gewesen, war sie betäubt oder bereits tot gewesen?
Kinder wurden auf viele Arten dazu verführt, mit Erwachsenen mitzugehen, mithilfe von Süßigkeiten, Kätzchen oder Hundewelpen, mit dem Versprechen, dass ihre Mutter im Auto wartete. Aber es gab auch zahlreiche Fälle, in denen der Entführer sich das Kind geschnappt und in ein wartendes Auto getragen hatte. So war es zum Beispiel der zehnjährigen Natascha Kampusch aus Österreich ergangen, die Ende der Neunziger auf dem Schulweg aufgegriffen und in ein Auto gezerrt worden war. Der Entführer, ein geisteskranker Mann, hatte sie im Keller seines Hauses eingesperrt gehalten, bis es ihr nach acht Jahren Gefangenschaft gelungen war abzuhauen. Die Geschichte hatte die Welt schockiert, war aber leider kein Einzelfall.
Als sie zehn Minuten später die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss, zitterte sie vor Erschöpfung. Solch eine Müdigkeit kannte sie gar nicht, dachte sie und gähnte laut. Sie zog schnell ihre Jeans aus und goss sich ein Glas Wein ein. Dann ging sie die Post durch, in der nichts von Interesse war, nur Werbung und eine langweilige Telefonrechnung, die sie nicht öffnen mochte. Sie trank hastig den letzten Schluck Wein, übersprang das Zähneputzen und kroch unter die Decke. Doch als sie der Müdigkeit endlich nachgeben konnte, fand sie keinen Schlaf. Die Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Gedanken an die Ermittlung, aber auch an Michael und Niclas … Sie hätte auch ihre Eltern anrufen sollen, ihre Mutter freute sich immer so, wenn sie sich meldete, sie hätte nach ihrem Vater fragen sollen und sich erkundigen, wie es seinen kranken Lungen ging, sie hätte …
Rebekka schloss fest die Augen, fühlte sich plötzlich innerlich leer, leer und müde. Die Vögel sangen noch immer leise in der Sommernacht, es war beruhigend und ein wenig nervtötend. Sie lag ganz still unter der Decke, bis sich der Schlaf endlich ihrer erbarmte.
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Am nächsten Morgen gab es trotz des massiven Einsatzes von Polizei und Bevölkerung noch immer keine Spur von Sofie Kyhn Larsen. Das Verschwinden des Mädchens dominierte weiter die Nachrichten, und die Journalisten erfanden endlose Geschichten, was mit ihr passiert sein könnte. Tatsache war jedoch, dass niemand der Aufklärung auch nur einen Schritt näher gekommen war. Gundersen wanderte in den Gängen auf und ab und verhielt sich seinen Kollegen gegenüber launisch und tyrannisch, während der Chef der Mordkommission eher resigniert wirkte. Rebekka arbeitete unermüdlich weiter, ging jeden einzelnen Anruf akribisch durch, durchforstete jedes Journal mit der Lupe, ob sie
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